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sie die Thränen und spricht, während sie eifrig
an einem arg durchlöcherten Strumpfe stopft, ganz
gelassen: „Ich werd' auch ohne den Konrad fertig
werden können." Sie täuscht aber doch das
Bärbchen nicht ganz.
Auch der Pfarrer traut nicht recht, als zur
selben Zeit der Schäfer beim Fortgehen vom
Friedhof zu ihm sagt: „Ach, Herr Pfarrer, nun
ists mit den Frauensleuten vorbei für mich!"
Aber er widerspricht ihm natürlich nicht. Und
der alte Köthe wiederspricht auch nicht, als sich
auf dem Heimweg der Schmied Semmler zu ihm
gesellt und auf des Schäfers hübsches Haus deutend,
vertraulich äußert: „Köthe, das wär' ein Mann
für eure Martlis, der brächte euch mit einem
Schlage aus den Schulden heraus." Er überblickt
nur sehnsüchtig das neue Ziegeldach und das ge
räumige Stallgebäude und denkt an die Handvoll
harter Thaler, mit denen der Schäfer am Abend
vorher in der Tasche geklimpert hat. An den
Zustand wüster Trunkenheit, in dem sich der
Wittwer eine Stunde später befunden, denkt er
nicht. Und als es Nacht wird, und der Mond
auf Heubach niederscheint, da beleuchtet er drei
schlaflose Lagerstätten. Auf einer ruht der Schäfer
Oswald und läßt die Mädchen des Dorfes an
seinem inneren Auge vorüberziehen, auf der andern
rechnet und zählt der alte Köthe, bis ihm der
Angstschweiß ausbricht, und auf der dritten sitzt
die Martlis und weint sich satt um den treulosen
Konrad. —
II.
Seit dem Begräbniß der Schäsersfrau sind vier
Wochen vergangen. Der Pfarrer von Altenbrunn
trinkt seinen Nachmittagskaffee und berichtet da
bei von zwei Krankenbesuchen, die er in seinem
Filial Heubach gemacht hat. Aber er besitzt kein
sehr dankbares Publikum, denn Spitzchens Auf
merksamkeit ist erheuchelt, oder gilt vielmehr nur
dem Zwieback, den sein Herr in der Hand hält,
und die Pfarrerin wartet augenscheinlich mit
Ungeduld auf eine Pause in der Rede ihres
Mannes. Jetzt tritt eine solche ein. und sogleich
fragt sie eifrig: „Hast du nicht gehört, wie es
mit Köthens steht?"
Des Pfarrers freundliches Gesicht verdüstert
sich. „Allem Anschein nach recht schlimm," ant
wortet er gedrückt, „der Bürgermeister sagte mir,
der Jude Katz würde mit der Klage nur noch
bis zur ersten Oktoberwoche warten, und das sei
auch die längste Frist, die er selber geben könne."
„Könne?" wiederholt die Pfarrerin bitter.
Wenn der brave Herr Bürgermeister nur das
Ding beim rechten Namen nennen wollte. Warum
konnte er sich denn gedulden, so lange er keine
billigeren Tagelöhner als den Köthe und die
Martlis bekam? Aber so sind die Bauern alle,
habgierig, berechnend und unbarmherzig. Wenn
wir doch nur so viel hätten, um dem armen
Mann die lumpigen 200 Thaler leihen zu können."
Der Pfarrer lächelt flüchtig. „Dann wären
wir vielleicht auch berechnend und unbarmherzig."
sagt er halb im Scherz, und fährt dann ernst
haft fort: „Es ist traurig, daß mir der Köthe
nicht mehr traut, seitdem ich sein Gesuch um ein
größeres Darlehn aus der Kirchenkasse abweisen
mußte, ich fürchte, er geräth dadurch an Leute,
die es viel weniger gut mit ihm meinen. Er soll
in letzter Zeit sehr häufig mit dem Schäfer Oswald
zusammengewesen sein."
„Mit dem Trinker? Der hat doch nicht gm
Ende gar Absichten auf die hübsche Martlis?"
„Charlotte! Was für ein Einfall! Du bist
auf dem besten Wege noch gefühlloser zu werden,
als die geschmähten Bauern!" Der Pfarrer ist
so entrüstet, daß er gar nicht hört, wie jemand
die Haustreppe heraufkommt. Erst als Spitzchen
mit wüthendem Gebell auf die Thüre los fährt
und draußen eine rauhe Stimme nach ihm fragt,
merkt er, daß ein Fremder da ist und verläßt
das Zimmer. Der Schäfer Oswald steht auf der
Flur, Spitzchen vollführt aber bei seinem Anblick
einen so entsetzlichen Lärm, daß die Pfarrerin
nicht versteht, was er zn ihrem Manne sagt. Sie
erfährt bald genug, was er will. Spitzchen hat
sich noch nicht völlig von seiner Aufregung erholt,
sondern bekundet durch anhaltendes Knurren noch
immer mühsam verhehlten Grimm, da wird die
Thüre der Studierstube ungestüm geöffnet, und in
die erneuten Wuthausbrüche des kleinen Hundes
hinein hört sie den Pfarrer ungewohnt heftige
Worte sprechen. Gleich daraus tritt er wieder
bei ihr ein, blaß, mit zuckenden Lippen. Er durch
mißt einige Male das Zimmer, bleibt dann am
Fenster stehen und spricht, den Kopf an die Schei
ben drückend, mit tonloser Stimme: „Charlotte,
Du hast vorhin Recht gehabt — am Sonntag
ist das erste Aufgebot von dem Schäfer Oswald
und der Martlis Köthe."
Die Pfarrerin erhebt sich erschrocken.
„Das ist ja wohl ganz unmöglich! Das darf
ja die Kirchenbehörde nimmermehr zugeben!"
Der Pfarrer schweigt eine Weile, in düstere Ge
danken versunken. „Das sagte ich dem Schäfer
auch," antwortet er dann gepreßt, „aber der
hatte sich gut vorgesehen. Er war schon am
Standesamt und schon keim Metropolitan gewesen
und so gut unterrichtet über meine Rechte und
Pflichten, daß ich schweigen mußte. Er kann
sechs Wochen nach dem Tode seiner Frau eine
zweite Ehe eingehen."
„Aber sagtest Du ihm denn nicht, daß es
himmelschreiend sei, sich verheirathen zu wollen,