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Der Imperator stand nach dem furchtbaren
Ringen auch dieses Schlachttages noch achtung
gebietend da, sodaß die Verbündeten für den
19. Oktober seinen erneuten Angriff erwarteten.
Bei den für sein Heer mehr bedeutenden großen
Verlusten und nachdem er seine letzten Reserven
daran gesetzt hatte, war es unmöglich für
Napoleon, ferner Stand zu halten, seine Armee
würde dann gänzlich aufgerieben worden sein.
Er beschloß den Rückzug und bestimmte das
Korps von Rehnier, das polnische unter
Poniatowski und das von Macdonald, welches
viele deutsche Truppen enthielt, die, wie die
Polen für ihn doch als verloren anzusehen
waren, zur Deckung des Abzugs seiner Franzosen
aus Leipzig.
In der Frühe des 19. Oktobers, gedeckt durch
den Nebel, zogen diese Korps aus den Stel
lungen gegenüber den Verbündeten ab, während
die Armee Napoleons schon seit dem vorigen
Tage durch Leipzig zurückging. Furchtbare
Stunden gingen dann über die mit Verwun
deten und Kranken überfüllte, von den Ver
bündeten angegriffene Stadt, bis durch die
Sprengung der Elsterbrücke allen noch auf deren
rechten Ufer befindlichen Truppen des napoleonischen
Heeres der Rückzug abgeschnitten wurde.
Bardeleben war in den zahlreichen Kämpfen
in Schlesien und Sachsen unversehrt geblieben,
auch die Schlachten bei Leipzig konnten ihm
nichts anhaben, obwohl sein Bataillon schrecklich
gelichtet, sein Mantel durch ein Granatstück
zerrissen und mit Blut und Hirn bespritzt wurde.
Ueber diese Tage berichtet er „der letzte Rest
meines Bataillons ist noch für das Interesse
Napoleons geopfert, wobei aber über mich die
Hand der Vorsehung waltete."
Glücklicher als viele Tausende, welche in
Gefangenschaft geriethen, war unser Freund in
den Strom der in Unordnung und Gedränge
abziehenden Massen gerathen, doch als ein Führer
die von den Kugeln geschlagenen Löcher zeigend. „Wir
hielten ihn für geisteskrank, zwei Soldaten erboten sich,
ihn herabzuholen, allein er weigerte sich, ihnen zu folgen.
Beim Herabstcigen der Soldaten wurde Einer derselben
von einer Kanonenkugel getödet. Zch wiederholte nun
dringender meine Bitten an den Müller, herab; akommen,
er sei es sich und seiner Familie schuldig, sein Leben nicht
muthwillig zu opfern. Da ertönte seine Stimme tief und
klagend, wie nur surchlbarer Schmerz und höchster Jammer
es hervorzubringen vermögen: Frau, Kinder, Vermögen.
Alles habe ich verloren, habe nichts mehr aus der Welt
als mein elendes Leben, ich will sterben, wo meine Vor
eltern starben und glücklich waren! — Das 11. Armee
korps mußte zurückgehen und bald befand die Mühle sich
zwischen dem Feuer beider Armeen, wo sie wahrscheinlich
mit dem unglücklichen Müller zusammengestürzt ist. Der
Pulverdamps und der hochauswirbelnde Staub verhinderten,
sie aus der Ferne zu sehen."
(Nach Aufzeichnungen v. Bardeleben's.)
ohne Truppe. Die Frage trat an ihn heran,
wie er sein Verhalten einzurichten habe: das
Königreich Westphalen war, wenn auch voreilig
und unbefugt, von dem Russen Czerniczew als
aufgelöst erklärt worden, König Jeröme hatte
seine Hauptstadt verlassen. Daß er am
15. Oktober dahin zurückkehrte, wurde während
der Schlacht wohl nicht bekannt. Die west-
phülischen Offiziere hatten keinen Kriegsherrn
mehr, an welchen ihr Eid sie band. Bis zum
letzten Augenblicke hatten sie bei Leipzig ihre
Pflicht erfüllt, jetzt waren die Uebriggebliebenen
frei, wenn sie nicht eine Selbstaufopferung be
gehen wollten, der ebensowohl der Grund wie
ein Zweck gefehlt haben würden.
Die deutschen Volksstämme waren schon seit
der Erhebung Preußens in immer größere Auf
regung gerathen, die Fremdherrschaft wollte man
um jeden Preis abschütteln, begeistert brachte die
Nation ungeheuere Opfer an Menschenleben und
Familienglück jenem hohen Ziele. Die Stim
mung, durch zahllose Aufrufe und die Siegesnach
richten genährt und gesteigert, war den West
phalen in Napoleons Heere nicht verborgen
geblieben, sie konnte nicht ohne Wirkung sein.
Der Flüchtling, wieder in dem Schwarme der
letzten von der Armee des Imperators, der er
wie in Rußland den Abzug hatte decken helfen,
entschloß sich in Eckartsberge die französische
Armee zu verlassen und meldete sich am
22. Oktober in Apolda bei dem die Franzosen
verfolgenden Hetman Platow. Der gestattete
ihm in seinem Korps mitzuziehen, welches noch
am selbigen Tage ein Gefecht mit der feindlichen
Nachhut bestand. In Weimar erwartete er
mehrere Tage die Ankunft des Königs von
Preußen, welchen er um Anstellung bitten
wollte. Von hier meldete er am 25. der Gattin,
daß er lebe und was er zu thun gedenke, sein
Brief beginnt: „Endlich ist der schöne Tag ge
kommen, wo ich meinen Dir bekannten, so sehn
lichen Wunsch, gegen Deutschlands Unterdrücker
kämpfen zu können, zu verwirklichen angefangen
habe. . . Mit Vergnügen habe ich daher meine
beiden Decorationen abgelegt und hoffe, es soll
mich bald eine andere, mir mehr Freude machende,
zieren." Es war seine Absicht, sich in das
Hauptquartier des Königs zu begeben um das
Gesuch zu betreiben und er verließ Weimar am
31. Oktober. In Vacha wurde ihm mitgetheilt.
Kurfürst Wilhelm sei in Kassel — das konnte
nur Hessens Auferstehung bedeuten, die Liebe
zum Heimathlande überwog alsbald die Aus
sichten für den preußischen Dienst, welche durch
ein Gesuch an Blücher, seinem General im
Jahre 1807, ihm eröffnet waren. Er begab
sich nach Kassel, mußte hier aber erfahren, daß