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1809 vermocht, die Vermittelung des westphalischen
Gesandten am Preußischen Hofe, Baron von der
Linden behufs Erwirkung seiner Begnadigung und
ungefährdeten Rückkehr in Anspruch zu nehmen.
Nachdem ihm Seitens des Gesandten, wiederholter
Berichterstattung an den westphälischen Hof vorgängig,
im Namen des letzter» eine seinem Gesuche ent
sprechende Zusicherung wirklich gegeben worden war,
kehrte er nach Kassel zurück und meldete sich sofort
nach seiner, am 5. Mürz 1810 erfolgten Ankunft
bei dem klg. westphäl. Justizminister; jedoch nur, um
zu erleben, daß die Regierung ihren eignen Ge
sandten desavouierte und das von demselben gegebene
Wort brach?) Er wurde sofort in Haft genommen,
zunächst im Kastell, dann im Gefangenhaust zu Kassel
detiniert, und ihm der Proceß gemacht, welcher mit
seiner Schuldigsprechung wegen „Hochverrathes" und
Berurtheilung zur Todesstrafe endete. Der gegen
dieses Urtheil eingelegte Kassationsrekurs ward ver
worfen, wiederholte, theils von ihm selbst, theils von
anderer Seite eingebrachte Begnadigungsgesuche
wurden vom Könige zurückgewiesen, der Tag seiner
Hinrichtung auf den 24. Juli 1810 bestimmt und
alle zum Vollzüge derselben erforderlichen Vorbereitungen
bis ins Einzelne getroffen. Am Tage zuvor (23.
Juli) erhielt er den letzten Besuch seines Vaters,
empfing aus den Handen des verstorbenen nach
maligen Superintendenten Ernst das hl. Abendmahl
und nahm, im Angesichte des unmittelbar bevor
stehenden Todes, von seiner, ganz nahe vor ihrer
ersten Niederkunft stehenden Gattin tiefbewegten brief
lichen Abschied. In dieser äußersten Noth erfaßte
seinen greisen Vater der Gedanke, noch einen letzten
persönlichen Versuch für seinen Sohn zu wagen,
welcher, wenn auch noch so hoffnungslos, doch wenig
stens das beruhigende Bewußtsein gewähren konnte,
daß nichts zu dessen Rettung möglicher Weise Dien
liches seinerseits unterlassen worden sei. Begleitet
von seiner jüngsten Tochter, und unter dem Beistände
eines treuen Verwandten, des verstorbenen nach
maligen Konsistorialrathes Schnakenberg in Kassel,
fuhr er am Nachmittage des 23. Juli nach Wilhelms-
(Napoleons)höhe. Alle drei gelangten durch mohl-
wollende Vermittelung vor das Angesicht Jerome's
und erhielten in Folge ihrer gemeinsamen fußfälligen
*) In einem Briese vom 2. Januar 1812, in welchem
mein Vater einem seiner Berliner Freunde eine Uebersicht
seiner letztjährigen Erlebnisse giebt, heißt es wörtlich: „£>ie
Versicherungen und Versprechungen, die mich hierher ge
führt hatten, waren ganz klar und bestimmt, noch weit be
stimmter, als ich Ihnen vor meiner Abreise eröffnet hatte,
sie rührten unmittelbar aus der höchsten Hand her". —
Die Zurückkunft meines Vaters wurde hiernach nicht —
wie Stessens „Was ich erlebte" VI, 203 ff, irrig sagt —
durch dessen Vater „vermittelt"; sie erfolgte im Gegen
theil, wie dies auch die selbstbiographischen Aufzeichnungen
des letztem klar ergeben, gegen dessen ausdrücklichen
Wunsch und Äath.
Bitten von dem — bekanntlich nichts weniger als
Persönlich gefühllosen oder hartherzigen — Könige
in der That das Leben meines Vaters geschenkt.
An die Stelle der Todesstrafe trat Freiheitsstrafe
von unbestimmter Dauer, welche hiernächst, gelegent
lich einer umfassendern Gnadenerweisung aus Anlaß
des königlichen Geburtstages, im Nov. 1811, ebenfalls
ihr Ende erreichte.
Aus dem Gesagten wird sich zunächst entnehmen
lassen, daß die Angabe bei Steffens (a. a. O.),
daß nur „ein öffentlich hervorgehobenes, auf Effekt be
rechnetes französisches Schauspiel" stattgefunden, bei
welchem „der alte Vater eine Hauptrolle gespielt" habe,
oder daß, wie Lynker (a. a. O. S. 195) nachschreibt,
„das Ganze nur eine verabredete Farce" gewesen sei,
eines jeden haltbaren Grundes ermangelt. Nicht minder
wird aber daraus ersichtlich sein, was von der Be
hauptung der Herren Gccke und Ilgen zu halten ist,
daß mein Vater dem westphäl. Gesandten „seine
Dienste angeboten" und durch denunciatorische Angaben
über andere Theilnehmer des Ausstandes „die Begnadi-
gungKönigJerome's zu erlangen gewußt" habe?)
In dieser letzteren Beziehung will ich noch eine Aeu
ßerung meines Vaters hier folgen lassen, welche eben
falls in dem oben citierten Briefe desselben vom 2.
Januar 1612 sich vorfindet: „Man hatte mich vom
Anfang meiner Ankunft dahier stark in die Klemme
genonunen, um noch Geständnisse von mir zu erpressen;
besonders wollte man durchaus Namen von Mit
schuldigen wissen. Ja es war mir mehrere Male
angeboten worden, daß, wenn ich mich in diesem Stücke
fügen wolle, meine Freiheit mir sofort gewährt werden
solle. Meine stete Antwort war, ich wisse weiter
ichts, als was ich bereits ausgesagt habe. Und so
gar jetzt noch, wenige Stunden vor dem erwarteten
Tode, geschah mir der Antrag, daß ich in dieser Hinsicht
aufrichtig sein solle, wogegen mir nicht nur das Leben,
sondern auch alsbaldige Freiheit zugesichert wurde.
Allein, Gottlob, auch nicht einen Augenblick kam ich
in dieser schrecklichen Lage auf den Gedanken, Leben
und Glück auf Kosten der Ehre und des Rechts
wieder zu gewinnen.
„Ein solcher Mensch" — in diesem Tone und noch
mit oem Zusatze: „durch seine gänzliche Charakter-
*) Ganz hinfällig ist, was die genannten Herren S. 155
ihres Buches von einer angeblichen „Verdächtigung" Jo
hannes v. Müller's durch meinen Vater sagen. Die
Mitwissenschast v. Müller's um den Jnsurrektionsplan steht,
u. a. durch v. D ö r n b e r g' s und v. R o m m e l' s Zeugniß
lBülau, Geheime Geschichten re. V. S. 418 u. 4851 sowie
nach Schlosser (Geschichte des 18. Jahrh. VII. S. 469.
u. 470) außer allem Zweifel. Und da er überdieß bereits
am 29. Mai 1809 gestorben war, so konnte im Herbste
desselben Jahres von einer „Verdächtigung" v. Müller's,
wie überhaupt nicht, so namentlich nicht mehr von einer
solchen, welche irgend einer Person zum Vortheil oder zum
Nachtheil hätte gereichen können, die Rede sein.