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schwenderisch gegeben. Stellen diese Menschen
ooch unmögliche Anforderungen an das Leben —
liegt es darin?
Grete senkte den Kopf und wehrte den Thränen.
Sie hatte keine Antwort auf diese Frage, wußte
auch nicht, warum sich dieselbe in ihr Denken
drängte. Es ließ sich doch, bei ernstem Wollen
mit so Wenigem glücklich sein in dieser Welt.
Vielleicht würde das auch Rudi noch lernen, wenn
er wieder genesen — er war ja heute viel mun
terer als damals, wo die Geschichte mit Erika
— —. Sogar an Amanda dachte er, von der
er sonst niemals etwas hören wollte.
Aber das Elend — das grundlose Elend —
das mußte wohl da draußen in der Welt liegen.
Wie oft war Rudi in früheren Zeiten zerfahren
gewesen, unzufrieden, ohne einen besonderen Un
glücksfall, wie er doch eigentlich solchen Stimm
ungen vorangehen müßte. Wozu grübelte er auch
über Dinge, die nicht zu ändern waren und wollte
Unmögliches erstürmen?
Das Elend!!
„Grete, geh' lieber heute gleich mit mir zu
Bette," sagte Frau Ruppius, die wieder ins
Zimmer zurückgekommen war, ohne daß Jene es
bemerkt hatte; „Du siehst müde aus."
„Ich komme gleich, Tantchen, nur einen Angen
blick, ich muß erst meinen Rundgang durch Haus
und Garten machen, — ich hätte das beinahe
vergessen."
Und sie eilte zur Thüre hinaus, aus Angst,
Frau Ruppius könne anfangen von Rudi zu
sprechen und das wäre ihr an diesem Abende
unerträglich gewesen. Ihre Tante schien es ja in
ihrem Mutterglücke kaum zu bemerken, wie sehr
sich Rudi verändert hatte — und sie selbst, sie
wußte, ihre Thränen ließen sich nicht dämmen,
wenn sie diesen! Leid Ausdruck geben sollte. —
„Ich will sehen, ob Rudi schon aufgewacht ist,
Grete, und ihm dann sein Frühstück an's Bett
bringen," sagte Frau Ruppius am andern Morgen
zu ihrer Nichte, die am Fenster des Wohnzimmers
stand und gedankenversunken — wie sie es sonst
auf ihre Schürze that — gegen die Scheiben
trommelte, „meinst Du nicht auch?"
„Es ist noch sehr früh," sagte Grete, auf die
Schwarzwälderuhr an der Wand blickend, die erst
Trost
Verzage nicht, mein armes Herz,
Wenn Dich des Lebens Sturm bedroht!
Derzweiste nicht in bangem Schmerz,
Hoff' auf ein goldnes Morgenroth!
aus sechs zeigte, „aber Rudi hat vielleicht keine
gute Nacht gehabt, es wäre immerhin gut, wenn
Du leise nach ihm sehen wolltest."
Sicher hat Rudi nicht gut geschlafen, dachte
Grete, als Frau Ruppius nicht zurück kam —
er wird wach sein — wir hätten sonst nicht Beide
diese Nacht solche Unruhe gehabt. Wenn die Tante
es sich auch nicht eingestehen will und alles auf
das Glück wirft, ihn dort drüben im Zimmer
zu wissen — sie leidet dennoch! Und dann die
fieberhafte Art seines Gebahrens gestern Abend!
Sie ging seufzend zum Tische, zündete den
Spiritus unter der kleinen Wiener-Kaffeemaschine
an, die Rudi einst mitgebracht hatte, und ordnete
die Tassen. Während das Wasser zu zischen be
gann, wurde es nach und nach hoffnungsfreudiger
in ihrem Herzen. Vielleicht hatte Rudi doch ge
schlafen und er wollte den Kaffee gemeinschaftlich
mit seiner Mutter und ihr trinken, die Tante
blieb ja auch unerklärlich lange aus.
„ ©trete!!"
Wer hatte den Angstruf ausgestoßen? Aber
ohne sich selbst Antwort zu geben, riß das Mäd
chen schon die Thüre auf, die zu Rudi's Zimmer
führte — und blieb vom Schmerze erstarrt auf
der Schwelle stehen.
Mutter — bei Dir sterben zu können — das
— war mein vergieb mir!
Diese Worte berührten noch wie ein Hauch —
als hätten sie die Lüfte geathmet — Grete's
Ohr — und dann sah sie wie der Kopf eines
Sterbenden an seiner Mutter Schulter lehnte und
der Tod sich nach und nach über sein Antlitz
breitete. Die Augen starr auf die ergreifende
Gruppe gerichtet, sank sie in die Kniee nieder und
betete laut.
Auf dem vergrämten Gesichte der Mutter lag
neben dem Schmerze dennoch ein heiliger Friede,
wie auf dem des Sohnes. Sie hatte ihn ja
wieder gefunden ihren Rudi für alle Zeit — und
da draußen in der Welt, da geschah ihm kein
Leid mehr.
Und Grete mußte an die Gruppe der kiotä
in der Kapelle von Birkenau denken, wo die
Mutter ihren sterbenden Sohn ini Arme hält —
und wie von höherem Geiste erleuchtet, verstand
sie den Sinn dieser allmächtigen, duldenden Liebe! —
Die Sterne blinken voller Pracht,
Sie grüßen Dich aus Himmelsau'n.
Wenn Du vom Schlummer bist erwacht,
Wirst Du den Frieden Gottes schau'n.
ß. tzhr. A. Krause.
-5-Ä-S