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Rudi hatte lange nicht geschrieben, immer
seltener in der letzten Zeit, und obwohl sie an
seine sprunghafte Art in allem was er that, ge
wohnt war, so begann sie doch jetzt, da ihr letzter
Brief abgegangen war, alle möglichen Hindernisse
zu befürchten, die seinem Kommen im Wege liegen
könnten.
Grete ahnte von allem Dem nichts, sie putzte
und ordnete inzwischen, und unter ihren Händen
gestalteten sich die einfachen Räume immer schöner
und reizvoller. In dem Wohnzimmer hatte die
blaue Tapete, die Rudi immer geschmacklos ge
funden, einer altdeutsch gemusterten weichen müssen,
und sie hatte die blendenden Musselingardinen
so künstlerisch um die Fenster drapirt, daß die
Tante meinte, sie fühle sich fremd im eigenen
Zimmer. Erst als die Geranien, Orchideen und
Monatsrosen wieder das eine der Fenster um
dufteten und der Kanarienvogel im vergoldeten
Käfig — ein Geschenk Rudi's — in die schöne
Herbstsonne hineinjubelte, lächelte sie und dachte
an ihren Sohn. O, er war in dem kleinen Heim
kein Fremder geworden, das wußte sie, was auch
die Welt da draußen ihm geben mochte, er —
„Tantchen, nun komm," rief Grete aus dem
anderen Zimmer heraus, „komm und sieh, jetzt
ist auch das Schlafzimmer der Beiden fertig."
Frau Ruppius, der Grete um sie zu schonen,
alle Arbeit abgenommen hatte, ließ das Mädchen
gewähren und die Dinge ordnen nach ihrer Weise.
Als sie aber jetzt über die Schwelle des Zimmers
trat, blieb sie überrascht stehen. Die beiden ein
fach angestrichenen Bettstellen, in welchen Rudi
und Theodora schlafen sollten, hatte Grete mit
duftigem, mattgelben Stoffe umhangen, mit rosa
Seidenschleifen genestelt und somit alle Schäden
verhüllt, welche die an Eleganz gewöhnten Augen
der Beiden beleidigen konnten. Der alte, an
gestrichene Tisch, an welchem sich Rudi in längst
vergangener Zeit zu waschen Pflegte, war frisch
in Marmorton gefirnißt und trug zwei neue
rosa Waschgeschirre, bei deren Anblick Grete die
Hände immer wieder freudig ineinander schlug.
Das alte Sopha war mit Arbeiten ihrer Hände
überdeckt und für die Tante ganz unkenntlich ge
worden. Sogar der alte Teppich hatte einem
neuen weichen müssen.
Die arme Frau stand noch immer auf der
Schwelle, aber ihr Gesicht war blaß und starr
geworden.
„Grete, wo hast Du das Geld zu allem dem
hergenommen? ging es endlich zaghaft über ihre
Lippen.
„Das Geld, Tantchen? Haben wir nicht ein
Saldo von 150 Mark? Aber davon laß' uns
heute nicht reden," wehrte sie mit der Hand, als
Frau Ruppius Miene machte etwas zu entgegnen,
„wir Beide haben uns so lange kein Vergnügen
gegönnt — ich denke der liebe Gott —"
„Aber wir wissen ja noch nicht einmal ob
Rudi kommen wird, Grete", unterbrach sie die
zitternde Frau, während sich ihre Hände inein
ander falteten, als müsse mit diesen Worten auch
ein Gebet zum Himmel steigen, „wir haben noch
keine Antwort, obgleich —"
„Doch, doch, Tantchen, wir haben eine Ant
wort," jubelte Grete, während sie einen Brief
aus ihrer Tasche zog und ihn triumphirend in
die Luft schwang.
„Wahrhaftig, Rudi's Handschrift," sagte Frau
Ruppius denselben ergreifend, und sie betrachtete
ihn von allen Seiten, als müsse sie erst die Freude
auskosten, die ein süßes Erwarten in sich trägt.
Grete legte den Arm um die Tante und ge
leitete sie zurück in das Wohnzimmer, zu dem
altgewohnten Sitz am Fenster, wo ihre Brille in
dem Arbeitskorbe lag, der auf dem breitbeinig«»
alten Nähtische stand. Sie hatte sich hinter den
Stuhl gestellt und nachdem Frau Ruppius mit
zitternden Fingern das Couvert zerrissen hatte,
lasen beide zu gleicher Zeit: .
„Ich komme Samstag, Mütterchen, aber ohne
Theodora und Udo, die beide seit einigen Wochen
in Meran sind. Erschrick nicht, wenn Du mich
etwas verändert findest, ich war in der letzten
Zeit nicht ganz wohl, hoffe aber bei Dir und
Grete zu genesen."
Frau Ruppius ließ den Brief in den Schooß
fallen und weinte. Sie sollte ihren Sohn wieder
haben, ihren Rudi, so wie in alter Zeit, -7- sie
konnte die Freude kaum fassen. Auch Grete
weinte, weil er ihrer zu gleicher Zeit mit seiner
Mutter gedacht hatte.
„Du bist doch nicht besorgt um Rudi's Gesund
heit, Tantchen?" fragte sie, sich über die alte
Frau neigend.
„O nein, nein, das kann nicht von Bedeutung
sein, sonst würde Theodora nicht mit dem Kna
ben in's Bad gereist sein. Du siehst ja auch,
daß er schreibt, wie er bei uns zu genesen ge
denke."
„O, wir wollen ihn schon pflegen, Tante,"
sagte Grete beherzt; ich gehe sogleich hinunter
in die Stadt znm Metzger und sorge für die
besten Stücke Fleisch während seines Hierseins —
und in den schönen Pavillon im Garten, wo er
immer so gerne saß, oa werde ich die neue Matte
legen, die ich immer — als habe ich eine Ahnung
gehabt — so sorgfältig verwahrte."
Und während Grete, den Kopf voll der kleinen
Dienstleistungen, die sie in selbstloser Liebe so
bereitwillig für Andere hatte, zur Thür hinaus
ging, nahm die blasse Frau wieder den Brief
zur Hand und ließ ihre Augen über die theuren