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wir empfinden der Liebe Leid, der Liebe Lust und
wandeln an Dichters Hand bis in jene Pfade, wo
Genialität zum Wahnsinn ausartet, wenn die
irdischen Fesseln zu drückend geworden sind, wenn
alte Verpflichtungen mit neuem Fühlen und Wollen in
Streit gerathen. Es sind neben gut bürgerlichen recht enge
drückende Verhältnisse, in die uns der Dichter hinein
schauen läßt und die er mit großer Sach- und
Ortskenntniß schildert, so daß wir ein Stück Kasseler
Kulturgeschichte als Hintergrund der Handlung vor
uns haben. Daß berechtigte Gefühle einer hoch
geachteten Familie verletzt werden, darf nicht ver
schwiegen werden, ist aber persönliche Sache des
Verfassers und hat mit der künstlerischen Werth
schätzung seines Werkes nichts zu thun. Bis zum
Höhepunkt, dem Treubruch Gustav's an Margarethe
um der schönen und geistreichen Hermine willen, ist
ein psychologisches Meisterwerk geschaffen, ein Ring
des Verhängnisses greift in den andern und Humor
und Lebenswahrheil beleben das Ganze. Der Schluß
freilich kann, da er unaufhaltsam die traurige Lösung
herbeiführen muß, eine gleiche Spannung nicht
erzielen. Niemand aber wird ohne Antheil und
hohen geistigen Genuß „3n Festen- aus der Hand legen.s
Ferner sei ein ,größeres Werk von Hugo
Frederking hier erwähnt, das sich mit des Lebens
Mühen und Kämpfen der heutigen Gesellschaft ein
gehend beschäftigt: ,Stromschnellen", Roman in
drei Bänden. Berlin 1869, Verlag von O. Janke.
Hans Elben, der uns 1884 mit dem Sange
von Bilstein erfreute, hat dieses Jahr seinen ver
hüllenden Dichternamen ausgegeben und hat als Fritz
Bode ein neues Epos veröffentlicht: Stolberg, eine
Geschichte aus dem 15. Jahrhundert. Kassel 1690.
G. Wigand. (Fein gebunden 3 Mark). In wohl
gelungenen Versen, die uns an Scheffel's Trompeter
und Julius Wolff's bessere Tage erinnern, steigt vor
uns der Harz empor und die kräftigen Gestalten des
Grafen Botho VII. von Stolberg und Wernigerode
und seiner Getreuen, denen bei Mann und Weib
noch trotzig Cheruskerblut durch die Adern rinnt.
Gegen die Herrschsucht in weltlichen und geistigen
Dingen des Bischofs Burchard von Halberstadt und
seiner Mönche, die frech des Müllers Tochter an den
üppigen Hof mit Gewalt entführten, erhebt sich die
Grafschaft Stolberg und bereitet I4H7 den Frevlern die
verdiente blutige Niederlage am Todtenwege. Dem
Dichter ist es gelungen, ein treffliches Knliurbild zu
schaffen aus den Zeiten unmittelbar vor der Refor
mation, wo aber dem Volke unbewußt noch viel Heiden
thum in Fleisch und Blut steckt aus uralter Zeit.
Auf diesem Hintergründe heben sich kräftige Männer-
rnd Frauengestalten, der Graf, der Bischof, der Mönch,
er Magister, Till, Margarethe, Kathereine, die blonde
Ilse herzerfreuend ab, sodaß jeder Leser gern mit dem
Sang von Stolberg sich vertraut machen wird.
Von den beliebten hessischen Schriftstellerinnen
Sophie I u n g h a n s und H. B r a n d liegt für diese
Weihnachten keine neue Gabe vor, doch genügt ein Hinweis
auf die zahlreichen Romane und Novellen der ersteren,
die jede Buchhandlung in reicher Auswahl vorlegen
kann, und Brand's hessische Zeitromane erfreuen sich
ja allgemeiner Beliebtheit, da sie uns die Haupt
thaten der Geschichte Hessen-Kassels dichterisch verklärt
vor Augen führen will. Bearbeitet sind schon Hein
rich das Kind, das itz. Jahrhundert (In Lehns-
pflicht), der 3< »jährige Krieg (Allzeit getreu), und
Landgraf Karl (Gute Zeit im Lande), denen, wie
wir hören, die Zeit des Landgrafen Friedrich II.
nachfolgen soll. —
Von lyrischen Erscheinungen aus Hessen liegen uns vor:
C. Preser's Gedichte in 4. Auflage reich ver
mehrt. Kassel 1890 bei E. Hühn (Preis 3 Mark),
und A. Trab ert: Deutsche Gedichte aus Oester
reich. Frankfurt a M. bei G. Wendel. 3 Bänd
chen (3 M. 50 Pf.), jedes auch einzeln käuflich.
I. Schwertlieder eines Friedsamen II. Ein Menschen
leben und III. Trost-Einsamkeit.
Neben diesen Neuerscheinungen muß aber auch
eine neue, die 5. Auflage des Prinzen Rosa-Stramin
von Eduard Helmer (Ernst Koch) als last not least
erwähnt werden. Kassel 1690 bei G. H. Wigand.
Das Altmüller'sche Geleitswort zur dritten Auf
lage wurde von P. R. durchgesehen und ergänzt
und das Biographische erweitert. Die Dichtung
selbst aber ist in Kurheffen überall so bekannt
und beliebt, daß hier eine Erwähnung der neuesten
Auflage genügt, um dieses Kleinod hessischer Haus
und Gemüthspoesie als schätzbarstes poetisches Festge
schenk für den Weihnachtstisch in Erinnerung zu bringen.
Kassel, Ende November 1889.
Or. phil. Leetig.
Diejenigen Abonnenten, welche das
„Hesfenland" durch die Post bestellt
haben, denen t8 aber außerdem noch irrtüm
licher Weise unter Streifband zur
geht, werden dringend ersucht, dem Nntrzcich-
neten hiervon vermittelst Postkarte baldgefälligst
Mittheilung zu machen. Durch Erfüllung dieser
Bitte ersparen fie uns Zeit, Mühe und Kosten.
Zugleich werden die Streifband-Abon
nenten, welche noch mit der Zahlung von
Quartals-Beträgen im Rückstände sind, höflichst
gebeten, dieselben im Laufe dirsctz Monats an
den unterzeichneten Redakteur und Verleger ein
zusenden.
I. Zwenger,
Kassel, Zordanstratze 15.
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zwenger in Kassel. — Druck von Friedr. Scheel in Kassel.