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„Egoistisch!" wiederholte das Mädchen ent
rüstet, „Du ließest ihn ja niemals merken, Tante,
daß Du nicht Geld genug habest."
„Wie sollte ich ihn auf seinen groß geplanten Weg
auch noch materielle Sorgen geben? Und gar
damals in jener Zeit, wo er das Leben kaum
ertrug — wo er auch seine literarische Thätigkeit
aufgab — und —"
„Aber das geschah nicht Erikas wegen", unter
brach sie Grete mit geröthetenWangen, „sondern weil
er nie ein Genüge fand in dem, was er leistete,
weil ihn, wie er mir einmal sagte, die Zeit nicht
verstand und ihm das Feilschen mit seinem
Höchsten so unsäglich zuwider sei." —
„Er verstand sich niemals in das Leben zu
schicken, der Rudi", sagte Frau Ruppius nach
längerem Schweigen so aus ihrer Gedankenwelt
heraus, als spräche sie mit sich allein, „vielleicht
bin ich auch oft zu nachsichtig gewesen — und
wenn er seinen Vater gehabt hätte —"
„Der hätte ihn nicht geändert, sicher nicht,"
unterbrach sie Grete, „die Bedingungen zum
Glücke, die müssen doch wohl von Anbeginn in
der Menschenseele vorhanden sein — und wenn
man in seinen Ideen so groß und rein ist, so
leidet man unausgesetzt."
„Aber die Welt urtheilt anders, Grete, und
klagte mich an," sagte Frau Ruppius, während
sie sich erhob und langsam mit gesenkten Lidern
durch das Zimmer schritt, „o ich habe die Vor
würfe gefühlt, die Anzüglichkeiten verstanden, wenn
ich auch tausendmal schwieg. Jetzt freilich
„Ja, jetzt beneidet man Dich, Tantchen," er
gänzte Grete, während sie ihren Arm in den der
Tante schob und mit ihr in gleichem Schritte
ging, „aber ich würde nun doch auch an Deiner
Stelle Rudi- bitten, einmal nach Neuhausen zu
kommen — schon wegen der Kanzleiräthin und
ihrem Gefolge von Klatschbasen, die den armen
Rudi, weil er in ihr enges Maaß nicht passen
wollte, sein ganzes Leben lang verleumdet haben.
Ich möchte nur ihre langen Gesichter sehen, wenn
Rudi mit der schönen Theodora am. Arm —
o Tantchen, das wäre mir eine Genugthuung,
wie ich sie mir nicht schöner denken könnte."
Frau Ruppius lächelte nun gleichfalls, aber sie
dachte weniger als Grete an den Triumph,
sondern sie vergegenwärtigte sich das Gesicht
ihrer kühlen Schwiegertochter, wenn sie die ärm
liche Behausung betreten würde, die kleinlichen
Verhältnisse gewahren und wie dann Rudi leiden
könne, wenn ein Abglanz dieser Gedanken um
die schönen Lippen zuckte.
Ja — Theodora! Rudi war glücklich , er
sagte es, aber ihr, seiner Mutter, hatte sie nichts
Liebes gethan bei ihrem Besuche — sie hatte sich
so namenlos gedrückt gefühlt — so total über
flüssig und sie, die keine andere Welt kannte, als
die ihres Rudi — sie war schließlich sogar froh
gewesen, als sie wieder in Neuhausen war, in
ihrem kleinen Häuschen.an dem Maltische saß
und an ihn denken konnte — so wie sonst.
Sie hatte sich wieder still auf ihren Stuhl
gesetzt und faltete die Hände. Ihre Augen
hafteten dabei an der letzten Photographie ihres
Sohnes, die inmitten des großen Tisches auf
einer Staffelei stand. Es war ein groß ange
legter Kopf mit kräftigem Halse, den ein Paar
mächtige Schultern trugen Das volle Haar
fiel lässig von der breiten Stirne, aber die Linien,
die um den festgeschlossenen Mund lagen, ver
riethen bei aller Güte einen Zug energischen
Trotzes. Ein Etwas, das sich auflehnen möchte
gegen Dinge, denen die Masse zu Füßen liegt.
Es war das ein Zug, der alle mächtigen Eigen
schaften, die Kopf und Stirne verriethen, zu
Nichte machen konnte und den ein Dämon oft
in hämischer Schadenfreude denen giebt, welche
die Götter mit ihren Gaben überschütteten.
Wie viele Hoffnungen und Träume hatte
Martha Ruppius in diese Züge hineingedacht,
wie viele Wünsche an das Glück dessen geknüpft,
der sie trug!
Ob sie jetzt litt, weil sie wußte, daß alle
opferfreudige Mutterliebe dennoch nicht im Stande
sei, die Kinder zu beglücken? Wenigstens lag
ein Zug leidvollen Weh's in ihrem Gesichte, als
sie sich erhob und gedankenvoll in ihr Schlaf
zimmer ging. Es war das ein Theil des Mutter
herzens, den Grete nicht verstand, die viel zu
friedener und hoffnungsfreudiger geworden war,
seitdem sie Rudi mit Theodora vermählt wußte
— und somit von den Banden jener verzehren
den Leidenschaft für Erika erlöst, die ihren
Schatten auch über ihren eigenen, stillen Weg
geworfen hatte. Sie hatte sich die kleine Staffelet
bis dicht an den Platz gerückt, wo sie saß, sie
war kurzsichtig und konnte das Gesicht nur in
dieser Nähe erkennen.
Sie that das allabendlich und dachte dabei an
die ihr kurz zugemessenen Frühlingsstunden, in
welchen sie von einem gemeinsamen Glücke mit
Rudi geträumt hatte.
Warum das entscheidende Wort niemals ge
fallen war, das hatte sie begriffen: er stand ja
in jeder Beziehung so hoch über ihr; aber träumen
und ihn lieben in ihrer Weise, das durfte sie —
und das war für ihre genügsame Natur dennoch
ein Glück.
Heute sah sie indessen nicht so still glücklich
in die geliebten Züge, die Worte der Tante, die
sein Glück mit Erika in Verbindung gebracht,
hatten sie erregt und all die Zeit, die stürme-