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erweckt mein Vortrag dafür bei Ihnen einiges In
teresse, wenigstes aber zeigt er uns die klaffende
Lücke in Bezug auf eine klare bildliche Dar
stellung der territorialen Entwicklung Hessens. —
Ihnen allen aber, verehrte Anwesende, bin ich
zu Dank verpflichtet, daß Sie auch diesen ferner
liegenden Fragen ihr Interesse schenkten und so
zahlreich hier erschienen sind. Sollten meine
schwachen Kräfte für diesen ersten Versuch nicht
ausreichen, das Bild genügend zu beleben, so
bitte ich im Voraus um Verzeihung. Der Muth
aber, den Versuch gewagt zu haben, entsprang
allein der treu-festen Liebe zum Heimathland.
Im Jahre 720 tritt uns — abgesehen von
einer schwankenden Schreibung eines lothringischen
Ortsnamens (699) — zum ersten Male die
Form „Hessi" entgegen in einem Reiseberichte
des hl. Bonifatius.
Dann haftet der Name in beschränktem Um
fange im Karolinger- und später im Deutschen
Reiche an dem sächsischen und fränkischen Hessen
gau, bis er erst mehr denn 500 Jahre später
staatliche Bedeutung von neuem gewinnt in der
Landgrafschaft Hessen, die sich auf jene zwei
Gaue, die Werralandschast und den Oberlahn
gau begründete.
Der Name selbst ist schwache Nebenform neben
älterem Hassus, das regelmäßig ablauten mußte,
und ist ein den Personennamen anzuordnender
Volksname. Denn Ländernamen, wie Preußen,-
Bayern, Sachsen und Hessen sind erst sehr spät als
solche entstanden aus substantivirten Dativen
mit ze: Unser Land hieß ursprünglich „ze den
Hessen; das laut zu Hessen."
Der Deutung des Volksnamens würden wir
rathlos gegenüber stehen, wenn nicht die Hessen
in den Ursitzen der Chatten säßen und daher ein
Zusammenhang beider Namen von vornherein an
nehmbar erscheinen müßte.
' Der Name Chatte aber erscheint zuerst kurz
nach Christi Geburt bei Strabo (VII, 1, 3);
denn Livius hat ihn noch nicht gehört und
Cäsar kennt dort nur Sueven. Dann aber wird
unser Volksstamm häufiger erwähnt, von Velleius
Paterculus, Plinius u. A., bis Tacitus, vor
Allen durch seine Germania (Kap. 31) im Winter
98/99. unsern Ahnen ein herrliches Denkmal setzt.
Der Name „Chatten", zuletzt bei Ammianus
Marcellinus (XXX, 3. 4.), schwindet um das
Jahr 392 n. Chr. völlig aus den Geschichts
quellen; denn die letzte Nennung bei Sidonius
Apollinaris (455) ist lediglich dichterische Aus
schmückung, also daß unser Heimathland über
300 Jahre lang in der Ueberlieferung namenlos
bleibt, ebenso wie wir annehmen müssen, daß
die Chatten, schon lange vor Strabo ihr Land
in Besitz genommen hatten.
Das "Wort „Chatten" zu deuten, ist bisher
oft versucht worden, aber alles ist abzuweisen
bis auf zwei Erklärungen, die beide viel für sich
haben und beide sprachlich möglich sind. Ent
weder leitet man es ab vom Verbalstamm hat
— (unser haßen) als partizipiale Bildung mit
aktivem Sinne — die Feindseligen (von Nachbarn
nämlich so genannt) oder vom Nominalstamm
hat (an hatr.) — die Kopfbedeckung oder die
Binde, also daß ihr Stammesgott, ihre Priester
schaft oder die Chatten selbst sich durch eine
solche Tracht von anderen geschieden hätten.
Dieser letzten Ansicht Grimm's und Möllen
hoffs huldige ich zur Zeit, zumal auch die Namen
der Franken und Sachsen ganz ähnlich nach
äußeren Abzeichen entstanden sind.
Mag aber das Wort Xüttoi, (so ist nämlich zu
schreiben und zu sprechen, nicht Kalten), heißen,
was es will, der Germanistik ist es neuerdings
gelungen, wenigstens das bestimmt nachzuweisen,
daß Chattns und Hassus (Hesse) Laut für Laut
dasselbe Wort sind; ein Beweis, der Jacob
Grimm in seiner Geschichte der deutschen Sprache
noch nicht glückte und den Vilmar und dessen
sprachlichen Nachtreter für unmöglich hielten, so-
daß sie hierauf gestützt auch in geschichtlichen
Dingen auf die bedenklichsten Abwege geriethen.
Da sollen die Chatten einem in der Neuzeit
verloren gegangenen „Hatzen" entsprechen und
ihr Land „Groß-Chattenland" sein mit gar weit
gesteckten Grenzen; während die Hessen nur ein
kleiner Theil hiervon seien, deren alter Name
„Chatisi" uns zufällig nicht überliefert wäre.
Alles nur leere Phantasiegebilde
und Geschichtsfälschungen!
Karl Möllenhoff, der bedeutendste Kenner des
germanischen Alterthums und unserer Heldenzeit
(f 1884 als Professor in Berlin) trug schon
lange in seinen Kollegien sein neues Wissen vor
und gab es größeren Kreisen 1878 in der Zeit
schrift für deutsches Alterthum Bd. XXIII (N.
F. 11) Seite 5 ff. in dem Aufsatze von Jrmin
und seinen Brüdern, wo nebenbei bemerkt auch
die sprachliche Entwicklung von Mattium zu
Maden klar gelegt wird. Vor allem ist
nach ihm Ohattuarii von Chatten völlig zu
trennen und die Batten-Fabel des Tacitus für
völlig haltlos anzusehen. Danach liegt weiter
hin in dem überlieferten Chattus mit Doppel-
„t" eine Assimilation vor an das zweite t (das
nur eine Bildungssilbe, -ta, ist) und im Stamme
stand ursprünglich eine Spirans, die dann laut
gesetzlich in „so" übergehen mußte.
Es ist also dieser Fehler allein in der lautlich
unvollkommenen Ueberlieferung der Römer zu