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Wer Game „Kessen" und öa§ Lhalkenlanö sowie die Hebiels-
enlwLcklung der Ganögrasschast.
Vortrag, gehalten zu Kassel im Verein für hessische Geschichte und Landeskunde am 28. Oktober 1889.
Von vr. phil. Fritz Zeelig.
Hochansehnliche Versammlung!
Geehrte Frauen und Herren!
Sie werden an der Wahl meines heutigen
Vortrages wohl manches auszusetzen haben und
auch ich selbst befürchtete im Anfang, daß das Zu
besprechende den Einen zu bekannt, den Andern
zu fernabliegend erscheinen möchte. Doch entschloß
ich mich aus guten Gründen dafür, dies und
kein anderes Thema zu wählen.
Zunächst ist es leicht erklärlich, daß Ergeb
nisse der Wissenschaft erst spät und allmählich in
weitere Kreise dringen, und man soll deshalb
keine Gelegenheit versäumen, den Vorgang durch
Wort und Schrift zu beschleunigen, und hoffent
lich gelingt es mir, Sie heute von der buch
stäblichen, bisher oft geleugneten Uebereinstimm
ung von Chatte und Hesse zu überzeugen.
Weiter deckt sich der volksthümliche Begriff
„Hessenland" durchaus nicht mit dem Umfang
des z. Th. willkürlich gewachsenen Begriffes
„Hessische Geschickte", und dennoch werden beide
in Gesprächen und Büchern fortwährend verwechselt,
sodaß neulich noch ein Abriß einer Geschichte des
Hessenlandes erschienen ist, der uns einen
Leitfaden hessischer Geschichte gab. Auch gegen
diese Ungenauigkeiten möchte ich Einspruch er
heben, obwohl meine Behauptung durch geschicht
lich Gewordenes widerlegt zu werden scheint.
Denn allgemein spricht man heute von einem
Königreich Sachsen, einem Großherzogthum
Hessen, während streng genommen ersteres mit
dem alten Sachsen noch weniger zu thun hat,
als dieses mit dem eigentlichen Hessen: Dort
bildet „Meißen" die Grundlage und hier die
obere Grafschaft Katzenellenbogen nebst anderen
rheinfränkischen Gebieten, während von echt
hessischem Boden nur die Umgegend von Alsfeld
als kleinster Bruchtheil dazu gehört.
Endlich möchte ich die Versammelten auf
mehrere mit Erfolg neubebaute Forschungsgebiete
aufmerksam machen, und erlaube ich mir im
Anschluß daran zu jenen von dem verstorbenen
Oberbibliothekar Dr. Duncker im Supplement X
der Neuen Folge ausgesprochenen, wohlbegründe
ten Forderungen, eine Erweiterung und zwei
neue Bitten an die Hörer, an die Mitglieder
des hessischen Geschichtsvereins, ja an alle Söhne
des Hessenlandes hinzuzufügen:
1. Fehlt uns nicht nur ein genaues Verzeich
niß der in den mehr denn 45 Bänden der
Zeitschrift niedergelegten, reichen Forschungen,
sondern alle bibliographischen Hilfsmittel —
selbst die besten — sind in Bezug auf Hessen
veraltet, einseitig oder lückenhaft. Walthers
Repertorium gilt zunächst nur für Hessen-Darm-
stadt, und Ackermanns ßibliotheca Hassiaca
ist nur für den landeskundlichen Theil muster
haft, die geschichtliche Hälfte steht noch aus.
Keine bestehende. Büchersammlung aber, selbst nicht
unsere Landesbibliothek, ist in hessischer Literatur
vollständig, sodaß der Druck einer möglichst
reichhaltigen Bücherkunde zur hessischen Geschichte
geradezu ein Bedürfniß wird. Dazu aber muß
und kann Jeder beitragen, selbst wenn es nur
ein Scherflein ist. Daher darf ich wohl hier
auf meine im „Hessenland" Nr. 19 ausge
sprochene, darauf bezügliche Bitte kurz ver
weisen, die von mehreren Zeitungen wiederholt
worden ist.
2. regt sich jetzt allgemein ein gesundes Streben,
die Mundarten der deutschen Sprache, für die
man wieder Sinn und Anerkennung hat, wissen
schaftlich festzuhalten und ihre Verzweigungen
darzustellen, und auch hierbei kann jeder helfen,
indem er ihm bekannte oder auffallende Worte
und Redewendungen getreulich sammelt oder
einem Sammler mündlich zukommen läßt.
3. fehlt es vollständig an einer kartographischen
Darstellung der hessischen Gebietsentwicklung und
will ich Sie, verehrte Anwesende, auf dieses
wichtige Bedürfniß hinweisen, dessen Ausfüllung
belebend auf unsere hessischen Geschichtsstudien
einwirken muß. Wenn aber der Ausführung
dieser Karten große Schwierigkeiten entgegen
stehen, so ist die bisherige Theilnahmlosig-
keit der Menge nicht die geringste. Vielleicht