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K. war nicht nur ein stets hilfsbereiter Kamerad
und Freund von geradem, offenem Wesen und
biderbem Charakter, sondern auch ein wegen seiner
ungewöhnlichen Körperkraft, welche er seine Gegner
im Streit recht eindringlich fühlen ließ, bei den
sog. Philistern und Knoten Marburgs allgemein
gefürchtet.
Er bezog 1838 diese Universität und trat bei
den roth-weiß-goldenen Markomannen in's Corps,
deren Senior damals der hier verstorbene erste
Staatsanwalt Wilhelmi war. Ich sehe ihn noch
mit meinem geistigen Auge vor mir, den gut
müthigen K., wie er, ein Hüne von Gestalt, in
schwarzem Frack, weißen Beinkleidern, hoher Kravatte,
die Mütze auf dem rechten Ohr, mit gewichtigem
Stock in der derben Faust, welche sogar bei Gruß
und Handschlag des reckenhaften Freundes gewaltige
Körperkraft nur allzunachhaltig empfinden ließ, durch
die engen Gassen der alma Philippina in langsam
abgemessenem Schritt wandelte, niemandem aus
wich und auf die ihm ehrfurchtsvoll von den scheu
zur Seite getretenen jungen Leuten gebotene Be
grüßung, von oben herab sie betrachtend, — un
bekümmert um die Tageszeit die Antwort gab:
„guten Morsen Knot!" —; er steht mir noch leb
haft vor Augen, wie er nach abgelegter theologischer
Prüfung aus dem Zimmer kam und dem Studiosus
Schütte, der in dem Kreuzgang der Aula neben ihm
ging, in der Freude seines Herzens ob des kelieiter
elapsus so kräftig auf die Schulter schlug, daß der
kleine, ohnehin gebückt gehende Schütte zu Boden siel.
Eine Glanzleistung unseres K. als Simson war
aber die, welche im Englischen Hof vorkam. Dort
fand an einem Sonntag Abend sog. Kuhschwof statt,
an welchem — angezogen durch das ewig Weibliche
— auch der Bruder Studio sich damals noch be
theiligte, — die Theilnahme daran verbot 1840
den Hasso-Nassoven ein 0. 0. Beschluß bei 1 Thlr.
Strafe — und wobei es öfter zwischen Studenten
und Nichtstudenten zu Reibereien, die gar manchmal
iu Thätlichkeiten ausarteten, kam. An solch einem
Abend war es, als auf unseren unter den Bäumen
vor dem Englischen Hof lustwandelnden K. mehrere
Studenten zuliefen und dessen Hilfe gegen die Tänzer
im Saal erbaten, von denen sie soeben hinaus
gedrängt worden seien. Der stets hilfbereite Simson
K. betrat in Folge dessen gehobenen Hauptes und
siegbewußt das zu ebener Erde gelegene TanzlokU
des Englischen Hofes, gefolgt von der kleinen Anzahl
der in ungleichem Kampf mit den Philistern unter
legenen Studiengenossen und rief, seinen Ziegen
hainer in der markigen Rechten drohend schwingend,
mit der ihm eigenen Stentorstimme in die über
raschte Gesellschaft hinein: „ruhig!", worauf sich
alles still verhielt. Dann schritt er gemessen, den
Kopf rechts und links wendend, die Stirne ^um
wölkt-, mit Unheil verkündenden Blicken, dem
nächsten Fenster zn, öffnete dieses und forderte die
jugendlichen Tänzer, welche sich beim Streit mit den
Musensöhnen betheiligt hatten, in entschiedenem,
nicht gar freundlichem Ton auf, den Ort ihrer
Lustbarkeit unter Zurücklassung ihrer „Besen" auf
diesem nicht ganz gewöhnlichen Weg zu verlassen.
Dies Ansinnen rief unter allen Anwesenden un
verkennbares Erstaunen 'intb gerechten Unwillen,
ja bei manchem Tänzer sogar lauten Widerspruch
hervor. Rasch entschlossen forderte nun K. seine an
wesenden Kameraden auf, keinem der Tänzer den
Ausgang durch "die Saalthüre zu gestatten, packte
dann den vorlautesten Schreier vor der Brust, hob
ihn in die Höhe und setzte ihn zum Fenster hinaus
an die Luft. Hi rnächst wandte er sich an die
übrigen und rief: „marsch! auch da hinaus, sonst
gibt's Keile." Als er darauf mit gehobenem Stock
hinter einige Widerspenstige trat und sich anschickte,
seinen drohenden Worten die That folgen zu lassen,
da ergriffen alle das Hasenpanier und einer nach
bem andern machte den „Weg durch's Fenstert" in
den nicht tief gelegenen Garten; K. aber schloß das
Fenster, wendete sich stolz um und sagte, befriedigt
lächelnd: „Das war der Kehraus für die Stänkerer!
Ihr andern könnt weiter tanzen. Musik!" Und
es wurde munter weiter gespielt und fröhlich weiter
getanzt als ob nichts vorgefallen wäre.
K. aber und die übrigen Studenten begaben sich
nach diesem so glänzend errungenen Sieg in die
Kneipe zu Heuser (später Schwaner vulZo Dunkel)
auf dem Markte und leerten dort unter Anstimmung
des Liedes „Herr Zachäus" auf das Wohl ihres
„Freundes in der Noth" und den Rächer der ihnen
wohl nicht mit Unrecht widerfahrenen Unbilden einen
„Sechzehn-Schoppen-Schimmel." Ob diesem noch
weitere folgten, „ja das verschweigt der Sänger aus
Höflichkeit." '
I. Schwank.
Wie die Hessen Fremdwörter zu ver
deutschen wissen. Um das Jahr 1830 machte
eine Schaar junger Männer, zu welcher auch der
Erzähler gehörte, von Kassel einen Ausflug nach
der an der Waldeck'schen Grenze bei Naumburg
gelegenen Weidelsburg, einem in Trümmer liegen
den Ritterschloß, von welchem man eine herrliche Aus
sicht über weithin ausgedehnte Wälder hat. Auf
dem Weg dahin kamen wir zu dem Dorf Martin
hagen, und hier bemerkte einer aus unserer Ge
sellschaft, daß in der Nähe ein ungeheuer großer
Sandsteinblock liegen müsse, welchen man ursprüng
lich dazu bestimmt hatte, das achteckige Riesen
schloß oberhalb Wilhelms höhe zu krönen, den
man aber später als ungeeignet im freien Feld
liegen ließ. Es war nicht bloß die Schwierigkeit der