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„Ja, Richard. -Gepriesen sei dieser Tag! —
Denn — meine Frau schmollt mit mir!"
Was?"
Richard Löpel sprang von seinem Platz im
Ecksopha empor; er trat — während sich Er
staunen in seinem Antlitz ausprägte — näher
zu dem Freunde und wiederholte: '
„Was sagst du da? Deine Frau schmollt!
Und dazu zeigst du, mit dem glücklichsten Lächeln
von der Welt, deine beneidenswerth festen Zähne?
Thust so, als habest du einen unverhofften Schatz
entdeckt?"
„Habe ich auch, alter Junge; habe ich auch!"
Mit einem schelmischen Pfiff legte der Amts
richter dem Freunde hastig seine großen Hände
auf beide Schultern, schüttelte ihn urkräftig und
sagte:
Laß mich schweigen von dem, was vergangen!
Mein Ruf, Frauenkenner zu sein, hat arg
Schiffbruch gelitten! Eins aber weiß ich
sicher: Wenn die Frau aus Eifersucht schmollt,
so liebt sie, und — und . . .
Hier brach Binder plötzlich ab, die Stimme
versagte ihm, und der Kassierer sah Thränen in
seinen Augen aufquellen. Heftig preßte der er
regte Mann die geballten Fäuste gegen die Augen
und murmelte: >
„Weiß Gott, die Geschichte hat mich mehr ge
quält, als du glaubst, und wenn ich eine große
Herzensfreude habe, muß ich stets flennen, wie
ein Waschweib!"
Jn diesem Augenblick fragte die den Herren
fremde Stimme des Kellners:
„Befehlen die Herren Pilsener, Bairisch, Kulm
bacher oder hiesiges Bier?"
Das war ein willkommener Blitzableiter für
den Amtsrichter; wüthend fuhr er herum und
schnaubte den so uuvermuthet Eingetretenen, im
tiefste« Baß an :
„Was haben Sie hier herein zu gleiten wie
eine Blindschleiche?! Bringen Sie Champagner;
die beste Marke, welche Sie führen!"
„Sehr wohl, Herr Amtsrichter!" Mit hoch
rothem Kopf zog sich der Kellner schleunigst zurück.
„Ja, altes Haus, heute wird geschwelgt!" rief
Max Binder und griff dem Freunde neckisch in
den lang wallenden Bart. „Heute wollen wir
mal eine recht solide „Sitzung" halten!"
Der Bank-Kassierer kannte seinen Freund zur
Genüge, um» zu wissen, daß er jetzt über das,
was ihn in so frohe Laune versetzte, nicht mehr
gefragt sein wolle; er hoffte durch seine Frau
— denn wann haben die Frauen nicht die Hand
im Spiel — zur Klarheit über den häuslichen
Glückswechsel des Amtsrichters zu gelangen.
Und es blieb ihm keine Zeit zu heimlichen
Grübeleien! Max Binder war tu seiner fröh
lichen Laune von übersprudelnder Lustigkeit; sein
herzhaftes Lachen wirkte ansteckend. Der Cham
pagner that das seine und spät erst traten die
Freunde ihren Heimweg an.
Als der Amtsrichter, welcher den weitesten
Weg hatte, sich seinem Hause näherte, bemerkte
er, daß aus den Fenstern seines Arbeitszimmers
Licht schimmerte.
Ein heftiger Schreck faßte den Heimkehrenden;
im ersten Augenblick dachte er an Feuer oder
Krankheit. Hastig eilte er die Treppe hinauf,
öffnete die Thür seines Zimmers und — blieb
überrascht und zugleich beruhigt von dem, was
sich seinem Blicke bot, wie gebannt auf der
Schwelle stehen.
In seinem von hochragenden Bücher -Repo-
sitorien angefüllten Büreau, da, wo Jeannette
ihm — fast mit Gewalt — ein behagliches
Plätzchen zum Ausruhen hergerichtet hatte, saß
sein Weib! —
Auf dem ovalen Tisch, vor dem dunkelpolstrigen
Sopha, stand eine niedere, brennende Lampe.
Ein zarter, grüner Schleier milderte das grelle
Licht derselben. Zur Seite des Tisches lehnte
behaglich in dem bequemen Schaukelstuhl die
junge Hausfrau; sie war mit dem Buch auf
dem Sckooß eingeschlummert.
Einige Sekunden weidete sich der Amtsrichter
an dem traulichen Anblick; dann schritt er so
leise, als ihm seine Behäbigkeit erlaubte, dem
Tische zu, legte die Hand behutsam auf die
Schulter der Schlummernden und raunte sanft
zärtlich:
„Jeannette, was machst du denn so spät noch
hier?"
Die Angerufene fuhr jäh empor, öffnete die
schlummertrunkenen Augen und blickte verwirrt
um sich. Endlich glitt ihr ein glückliches Lächeln
über die Lippen und ihre klangvolle Stimme
belebte den nachtstillen Raum.
„Ach Max, bist du endlich da! Ich konnte
mich vor Müdigkeit nicht mehr wach erhalten!"
Sie stand auf und legte das Buch--auf den
Tisch. Er warf den Hut von sich, sah sie er
staunt an und fragte:
„Ja, aber warum bist du benu um Gottes
Willen aufgeblieben? Grade heute, wo unsere
Sitzung ausnahmsweise lange gedauert?!"
Sie hob die verschlungenen Hände bittend zu
ihm auf, richtete die schönen, grauen Augen
mit flehendem Ausdruck auf ihn und stammelte:
„O, Max vergieb mir mein^heutiges Schmollen!
Ich habe dir viel abzubitten, und wollte die
Sonne nicht wieder aufgehen lassen, bevor du
mir die Kränkung, welche ich dir zugefügt, ver
ziehen hast!"