317
„Brennt die Lampe noch nicht?"
„Nein."
„Nun, so werde ich gleich zu dir kommen."
Alle moralische Kraft der Seele, allen weib
lichen Stolz hatte Jeannette zu dieser Erwiderung
in sich wachgerufen, um vor dem jungen Mädchen
ihre scheinbare Niederlage zu bemänteln, aber in
dem Ton der Gekränkten lag eine so tiefe Traurig
keit, daß Sidonie rasch näher kam; ohne eine
Aufforderung abzuwarten, zog sie sich ein Fuß
bänkchen heran, setzte sich zu Jeannettes Füßen
darauf und sagte :
„Bitte, laß uns hier bleiben. Jeannette! Es ist so
lauschig bei dir, und im Dunkeln, ist gut munkeln."
Die Gefragte blieb schweigend sitzen. Plötz
lich legte ihr das junge Wesen ihre Arme auf
den Schooß, blickte strahlend auf zu ihr und rief:
„Jeannette, was hast du für einen seelenguten,
liebenswerthen Mann!"
„Wirklich, glaubst du?" die sonst so klang
volle Stimme der jungen Frau hatte eine rauhe
Beimischung.
„Ach, Jeannette! Ich bin durch seine Güte
so grenzenlos glücklich, so selig, wie aus dem
Häuschen! Ich — ich könnte in die Luft springen
vor Freude. Ich möchte ihn in Gold fassen,
den gute», entzückenden Onkel!"
Ein herber Zug breitete sich über das Antlitz
der Hausfrau. Sidonie preßte ihre Arme fester
auf die Knie der vor ihr Sitzenden und rief
übersprudelnd froh:
„Geliebte; ich muß reden! sonst vergehe ich
noch vor Glückseligkeit! Ich habe zwar ver
sprochen, noch zu schweigen, aber — ich kann es
nicht; ich muß mich aussprechen!"
Ein unsicherer, fast entrüsteter Blick von
Jeannette streifte das glückstrahlende, erhobene
Antlitz des jungen Mädchens und sie suchte dem
Mittheilungsdrange desselben mit den Worten zu
wehren:
„Wenn du versprachst, zu schweigen, so halte
doch Wort!" Verächtlich senkte sie die Mund
winkel und fügte hinzu: „Ich bin nicht neu
gierig!"
„Einzige Jeannette; es muß herunter von der
Seele! Ich — ich bin, bin — verlobt!"
Im Uebermaß ihres schämigen Entzückens ver
grub Sidonie ihren Krauskopf in den Schooß
der Tante und es entging ihr dadurch völlig die
plötzliche Wandlung in deren Zügen. Frohes
Erstaunen glänzte auf in den grauen Augen;
sie hob den Kopf des lieblichen Wesens sanft in
die Höhe und fragte mit zitternder Stimme:
„Verlobt bist du Sidonie? Mit wem denn?
Und warum sollte ich es denn nichl erfahren?"
Die Gefragte schüttelte lachend Thränen aus
den Augen und rief:
„Ach, ich bin ja noch heimlich verlobt, weil
Mama nicht damit einverstanden war! Aber
nun wird alles gut; denn der liebe, prächtige
Onkel — dem ich mein Leid geklagt — hat sich
von allen Verhältnissen meines heimlich Ver
lobten gründlich unterrichtet, hat dieselben sehr
gut befunden und will dadurch Mama's Miß
trauen verscheuchen. Wie sollte das seinem Ein
fluß nicht gelingen? Meinem reizenden Engels-
Onkel!"
Jeannette bog mit der Rechten, welche sie dem
glücklichen Kinde auf's Haupt gelegt hatte, das
selbe ein wenig zurück, sah ihm innig in die,
ihrem Max so ähnlichen Augen, und drückte
einen Kuß auf die frischen Lippen.
„Ich danke dir Siddy!" sagte sie und athmete,
wie von schwerer Sorge befreit auf. „Gott
segne dich zeitlebens für dein erlösendes Wort!"
Obgleich Sidonie nicht völlig begriff, weshalb
die Tante von ihrer Verlobung so außergewöhn
lich erregt war, sah sie doch den herzgewinnenden
Blick der Liebe, in ihren grauen Augen hervor
brechend, auf sich gerichtet, und damit war der
Damm jedweder Zurückhaltung ihres Liebesleides
und -Glückes durchbrochen. Unaufhaltsam, in
flüsterndem Raunen schüttelte sie ihre jungen
Sorgen vor der theilnahmvoll lauschenden Jean
nette aus. Erst die völlig eingetretene Dunkel
heit scheuchte die alles um sich her Vergessenden
aus ihrem Zwiegespräch auf. —
Inzwischen hatte der Amtsrichter nach be
endetem Termin und einigen Geschäftsgängen, seine
Schritte der Howald'schen Schlemmerhöhle zu
gelenkt. Eine kurze Strecke vor dem Ziel klopfte
ihm jemand auf die Schulter und die etwas
scharfe Stimme des Bankbeamten rief:
„Alle Wetter! Max, wenn du nicht verheirathet
wärst, könnte man glauben, du seiest in Liebes
gedanken ! Ich trotte hier schon eine ganze Weile
neben dir her. und du hörst und siehst nichts
von mir. Wie geht's! Guten Abend!"
„Danke, gut. Dir auch? Sei willkommen!"
Nach wenigen Schritten waren die Freunde bei
Howald und machten es sich im Eckzimmer be
quem.
Der Amtsrichter schleuderte seinen Hut auf
den Stuhl und ging wuchtig und in nervöser
Unruhe auf und nieder. Sein Freund sah ihn
von der Seite an und sagte:
„Du siehst ja heute so strahlend aus, Max:
So, wie ich dich, leider Gottes, seit langer Zeit
nicht gesehen. Ist dir ein besonderes Glück
widerfahren?"
Der Gefragte hielt in seiner Wanderung inne,
ein freundlicher Blick aus seinen dunkelflammen
den Augen traf den Kassierer; und er erwiederte
freudig: