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Magyarenblut und Magharenstolz -waren sein
drittes Wort. Er ließ seine Helden gern
Aristokraten sein, denn er schrieb für ein bürger
liches Publikum, das wenigstens im Feuilleton
seines Tageblattes gern in den höchsten Kreisen
verkehrte. Er schilderte mit Vorliebe, was er
noch nie gesehen; aber dazu war er gedrängt
worden. Versuchte er eine Erzählung, schlicht
und echt, wie sie im Leben sich abspielt, wie sein
Herz sie spiegelte, dann lehnten die Herren
Redakteure ab und meinten: „Unser verwöhntes
Publikum verlangt nach anderen Gewürzen!"
Herr Peters sah ein, daß selbst die Menschen
des sterbenden neunzehnten Jahrhunderts, der
großen Menge nach, noch Kinder sind, denen
das Märchen oder der Polizeibericht interessauter
ist, als eine ehrliche, gesunde Wirklichkeit. Zu
gleich empfand er freilich, daß er auf diese Weise
wohl den Redakteuren und großen Kindern, nicht
aber sich selbst genug thun würde. Er kam sich
vor wie einer der pomphaften Deklamatoren der
alten Schule, der um die Welt nicht in einen
natürlichen Ton verfallen wäre, oder wie ein
Mensch, der sein Gesicht verzerrt, um Andere zu
unterhalten. So oft seine brillanten, aktuellen
Novellen erschienen, sagte er zu sich: Das ist
ja, als hätte ich es in wirrem Fiebertraum ge
sprochen, das ist keineswegs, was ich gern gesagt
hätte.
Herr Peters war auch außerdem unzufrieden
mit seinem Leben. Es gab ihm nicht genug her,
es beantwortete wenige seiner Fragen, es erfüllte
fast keines seiner geistigen Bedürfnisse, denn er
lebte zurückgezogen in einem kleinen, hessischen
Neste, einem Orte, gerade gut genug zu eifrigem
Schassen, aber eine Warte, von der aus man
hätte Zeit und Leben beobachten können, war es
nicht.
Freilich that Herr Peters in dieser Beziehung
viel, um sich auf der Höhe seines Berufes zu
erhalten. Er reiste zuweilen Monate lang; sein
Kopf war voll von Bildern der bewegten Zeit,
sein Tisch von Journalen. Auf seinen Bücher
gestellen versammelten sich die feinsten und
größten Geister der Vergangenheit und Jetztzeit
— aber er schämte sich vor ihnen. Er verstand
sie, und er wußte, daß ein Mensch, der das
Höchste versteht, es entweder erreichen — oder
es stillschweigend über sich hinausragen lassen
muß. Woher hatten jene Helden des Geistes
den Muth genommen, so groß, einfach und wahr
zu sein? Hatte ihre Zeit die Wahrheit besser
zu würdigen gewußt? Im Gegentheil, die
Meisten von ihnen hatten gehungert und gedarbt.
Er dachte an Cervantes, an Schiller, an Wagners
Anfang.
Aber er mußte Geld haben, so viel Geld als
nur immer möglich und die aktuellen Feuilletons
nahmen ihren Fortgang. Wozu brauchte er, die
bescheidenste Kreatur unter der Sonne, Geld und
immer wieder Geld?
Nicht für sich, lieber Leser, sondern für seinen
Sohn Heinrich, der ein Taugenichts war.
Herr Peters stand am Fenster und fand die
uralten, schlafmützigen, schlummertrunkenen Häuser
des Städtchens schmutzig und langweilig.
Er verwünschte den Jungen in den großen,
schleppenden rothen Plüchepantoffeln, der Pfeifend
mit den Wassereimern vom mägdeumstandenen
Stadtbrunnen kam. Er sah den Wachtmeister
gravitätisch durch die Straßen stolzieren und
hörte die eintönige Stimme des Ausrufers an
der Ecke. „Es sollen am Freitag den 25. Februar
meistbietend verkauft werden" —. Er hatte diese
Scene tausendmal gesehen, und es schien ihm,
als seien die Bewegungen und Stimmen an den
Leuten festgewachsen. Er fand nichts Anregendes
oder Daseinbelebendes in seiner Umgebung.
Er nimmt die Brille ab, Putzt sie und nachdem
er sie wieder auf die blöden Augen gesetzt, gewinnt
er durch die Spalte zwischen den Nachbarhäusern
einen Blick auf den in steter Regung schimmernden
Fluß und die darüber sich erhebende sonnen
beschienene Bergschlucht. Auf ihren Bäumen
liegt ein leichter, grüner Hauch, wie Verheißung
kommender Frühlingsherrlichkeit.
Selbst der Frühling verjüngte Herrn Peters
nicht mehr, denn er stand seinem sechzigsten
Jahre nahe, und sein Kopf litt an der Müdig
keit geistiger Ueberanstrengung. Aber der
Frühling weckte die Jugend der Erinnerung.
In einem der alten, bescheidenen Patricierhäuser
des Städtchens hatten Herrn Peters Eltern ge
lebt, gute, christliche, kreuzbrave Leute. Längst
waren sie gestorben, und ihr Sarg war über
die holperigen Pflastersteine getragen worden,
die sie lebenslang zufrieden betraten.
Er hatte eine schöne Schwester gehabt, die dem
Geliebten über das weite Meer gefolgt und eine
große Dame in New-Pork geworden war —
weltlich vornehm, der Heimath entwachsen. Ihre
Kinder — reizende, blonde, englische Babies,
spitzenumhüllt und zartgliederig wie Puppen,
waren als Photographien zu Herrn Peters ge
kommen, sie lagen in Seidenpapier gewickelt in
seinem Pult.
(Fortsetzung folgt.)