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Auch Richard Löpel und das echte Pilsener
bei Howald erschienen dem Amtsrichter entbehr
licher als das herzliche Lachen der Nichte, und
er kürzte die „Sitzungen" am Sonnabend nach
Möglichkeit ab.
Jedoch, Max Binder war durch den Besuch
der Nichte nur angenehm unterhalten, es that
ihm wohl, mit ihr zu lachen, aber das still ver
schwiegene Leid über seine große Herzensent
täuschung nagte unausgesprochen fort.
Trotzdem empfand Jeannette Reue über den
Scherz der Verstellung, und wurde sich bewußt,
daß sie darin zu weit gegangen war. Instinktiv
fühlte sie, daß sie ein frevelhaftes Spiel mit
der Neigung ihres Gatten getrieben hatte. Eine
eifersüchtige Regung stieg in ihrem Herzen auf,
wenn sie die kleinen Aufmerksamkeiten beobachtete,
mit welchen der jugendschöne Gast ihren Gatten
umgab.
Sidonie trug zuletzt eine geradezu fanatische
Verehrung für den Amtsrichter zur Schau, und
nicht selten erschien es Jeannette als trete sie
gradezu störend zwischen die halblaut und eifrig
geführte Unterhaltung der Beiden.
(Schluß folgt.)
Hermann Riedesel nan der Kracken-
bnrg.
i.
Zur Tapferkeit, wie sie dem Manne
Zur heilten Pflicht gemacht Lykurg,
Gesellte Biederkeit und Treue
Der Ritter von der Brackenburg
Der Landgraf*) war ihm wohlgewogen,
Am Hofe ward er vorgezogen;
Die Damen sah'n mit Wohlgefallen
Auf ihn, den manche still verehrt;
Dem Junker aber war von allen
Ein schönes Edelfräulein werth. **)
Erbmarschall Röhrigs ***) einz'ge Tochter --
Sie war des Ritters Herzenswahl,
Und Margareth', von Lieb' beseeligt,
Erkor nur ihn sich zum Gemahl;
Doch ach! vergebens Margarethe
Um Mitleid zu dem Vater flehte,
Weil einen andern er erkoren,
Der hoher Würdenträger war
Und reicher, edler noch geboren,
Sie führen sollte zum Altar.
*) Ludwig I., der Friedfertige, regierte über Hessen
von 1413 bis 1458.
**) Es war eine der schönsten und tugendhaftesten
Damen Kassels.
***) Eckhard Röhrig von Röhrenfurt, oder Röhrenfort
hatte sich als Rathgeber ves jungen Landgrafen in den
ersten Regierungsjahren desselben große Verdienste um
das Haus Hessen erworben. Zm Fahr 1418 war er
Landvogt von der Loyne oder Lahn und 1423 in Hessen.
Landgraf Ludwig suchte ihn durch die Ertheilung des
Erbmarschall-Amtes zu belohnen.
C. W. Justis Hessische Denkwürdigkeiten.
„Die reiche Erbin meiner Güter
Soll keines Abenteurers Lust
Und Beute werden! tt sprach der Marschall,
Hing weinend sie an seiner Brust.
Der Landgraf selbst in edlem Sinne
Nahm Antheil an der Buhlen Minne,
Daß er dem Marschall offenbarte,
Sein Starrsinn mache ihm Verdruß;
Der Marschall aber nicht willfahrte,
Unwandelbar blieb sein Entschluß.
H.
Schon neigte sich der Tag dem Ende —
Und in der Abendsonne Pracht
Lag Flur und Wald, den einst durchirrte
Der Ritter Hermann auf der Jagd,
Als plötzlich aus dem Hinterhalte
Ein lauter Hülferuf erschallte.
Er forscht, woher die Töne hallen —
Ein jäher Schrecken sträubt sein Haar,
Den Marschall sieht er überfallen,
Im Wald von einer Räuberschaar.
Beiseite wirft er Speer und Bogen
Zu Ende ist die Jagd; es gilt
Durchs Schwert jetzt muthig zu erlegen
Des dichten Waldes schlimmstes Wild.
Drauf stürzt er mit geschloss'nem Helme
Sich auf die räuberischen Schelme.
Wie aus Gewölk dem Donnergotte
Verheerend Blitz auf Blitz entfährt,
So auf die Häupter jener Rotte
Zuckt rechts und links des Ritters Schwert.
Laut hallt der Wald vom Schwerter-Klirren,
Der Boden dröhnt, aufwirbelt Staub,
Die aufgescheuchten Vögel flüchten,
Das Wild birgt ^sich im dichten Laub.