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der Bankbeamte und blickte forschend in's Antlitz
des Freundes.
„Gewiß; wer erst an einen ordentlichen Haus
halt gewöhnt ist, wird für kleine, nebensächliche
Unordnungen hellsehend."
„Das ist wahr: aber das meinte ich eben nicht.
Du selbst bist anders!"
Binder seufzte, strich mit der kräftigen Hand
über die sich bedenklich erweiternde Nacktheit des
Schädels und erwiderte zerstreut :
„Findest du?"
Darauf sprang er rasch empor, trat in die
Thür und polterte:
„Was ist denn das für eine Bedienung?!
Kellner! Zwei Pilsener, und den Speisezettel!"
Ein Kellner, welcher den Herren fremd war,
brachte die gewünschten Dinge. Nachdem die
Ankömmlinge sich etwas aus dem Speisezettel
erwählt hatten, eilte der Befrackte davon und
Löpel nahm sein Glas, stieß an dasjenige des
Freundes und ermunterte:
„Prosit, Amtsrichterchen! Auf daß du auch
bald wieder der Alte bist. Sag' nur um Gottes
Willen: wo hast du dein joviales Lachen ver
graben?!"
Als Antwort erfolgte nur ein ablehnendes
Kopfschütteln.
„Nein, ich lasse diesmal nicht los! Hast du
amtliche Verdrießlichkeiten? Oder kann ich dir
in irgend einer Sache helfen?"
Max Binder legte die Rechte wuchtig auf den
Tisch; seine dunklen Augen schauten düster drein
und er erwiderte in verhaltenem Groll:
„Pah ! Ich helfe mir schon selber. Die Kirchen
stille in meinem Heim kann ich nicht mehr er
tragen; deshalb habe ich mir meine lustige Nichte,
Sidonie von Möring eingeladen. Du kennst sie von
der Hochzeit her. Ein brillantes Frauenzimmer!"
Der Kassierer lehnte sich im Stuhl — auf
welchem er Platz genommen — zurück; sein Ant
litz drückte Erstaunen aus; er trommelte mit der
mageren Hand ungeduldig auf dem Tisch und
fragte Verständnißlos:
„Kirchenstille? — Nichte eingeladen? — Ich
begreife nicht!"
Der Amtsrichter drehte ingrimmig an seinem
dichten Schnurrbart; plötzlich brach er heftig los,
nur mit Mühe dämpfte er auf einen Wink des
Kassierers die markige Stimme.
„Ja, weißt du Richard, ich habe schon lange
auf dem Herzen dir vor zu werfen, daß du mich
hättest bei Zeiten davor warnen sollen, mich
nicht an eine so kühle Natur wie Jeannette ist,
zu binden; du kanntest sie doch genau."
„Jeannette eine kühle Natur? — Ich dich
warnen, dich, den Frauenkenner? — Ach, du
scherzest! Und — Jeannette ist nicht kühl!"
„Gut, zu deiner Ehre will ich glauben, du
habest meine Frau ungenügend gekannt. Nur
so viel will ich dir verrathen: von dem Phlegma
— um nicht zu sagen — der Langweiligkeit, die
sie in sich trägt, kannst du dir keine Vorstellung
machen!"
Der Amtsrichter, welcher, die Hände auf dem
Rücken, erregt im Zimmer auf und nieder ge
gangen war, trat an den Tisch und leerte sein
Glas hastig und in einem Zuge; unsanft setzte
er es auf die Platte des Tisches und fügte in
bitterem Sarkasmus hinzu:
„Wenn sie wenigstens noch schmollte!"
„Was?!" Richard Löpel warf einen ganz be
stürzten Blick auf den Freund; beklommen kam
ihm über die Lippen:
„Davon habe ich ja keine Ahnung; ich höre
es zum ersten Mal!"
„Sollst auch nichts weiter davon hören, mein
Junge! Ist nicht meine Art. Will mich schon
zurecht finden; aber — ich habe mir die Sache
schöner gedacht!"
Mit der ihm eigenthümlichen, wegwerfenden
Handbewegung setzte er hinzu : „Ueberhaupt ist
es mit dem Heirathen wie bei der Lotterie: die
Gewinne kommen an die große Glocke, und die
Nieten werden verschwiegen! —
Richard Löpel war zu sehr benommen von deni,
was er gehört; er kannte seinen verschwiegenen
Max zu genau und wußte, daß, wenn er sich
über eine heikle Sache äußerte, bei ihm alle
Hoffnung sie zu bessern, verloren sei.
Wortkarg saßen die Freunde beisammen und
früher, als sie geplant, traten sie gemeinsam den
Heimweg an. Mit einem mißgestimmten „Gute
Nacht" trennten sich die Freunde.
-st -st
-st
Es war zwei Uhr Mittags. Um diese Zeit
ging das Ehepaar Binder zu Tisch. Das soge
nannte „stilvoll" wäre bei ihrer Zimmerein
richtung nicht angewandt gewesen, dagegen war
sie geschmackvoll in jeder Beziehung.
Die junge Hausfrau hatte sich — bis auf
einen müden, gelangweilten Ausdruck ihres Ant
litzes — wesentlich zu ihrem Vortheil verändert.
Das Haar, welches Krankheit ihr einst geraubt,
trug sie wieder anmuthig geordnet und die vor
dem bleichen Wangen hatten einen zart rosigen
Anhauch bekommen. Jedoch die auffallend gleich
gültige Miene paßte so wenig zu ihrem ganzen
Wesen, daß man sich mit Bedauern davon ab
wendete.
Das Paar ließ sich schweigend an dem solid
gedeckten Tisch, im holzgetäfelten Eßzimmer
nieder.