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plötzlich am 3. April die Rückreise nach Höxter
an. Dieses Verhalten ist dem Gericht als ein
Beweis erschienen, daß Jordan auf eine revlutio-
näre Erhebung gewartet habe, um persönlich ein
zugreifen, jedenfalls aber von der bevorstehenden
revolutionären Unternehmung Kenntniß gehabt
habe. Jordan dagegen leugnete solche Unter
stellungen durchaus ab und erklärte seine rasche
Abreise von Höxter damit, daß er die dem Minister
Hassen Pflug zugesagte Verzichtleistung auf
eine Wiederwahl dem Senat selbst habe mittheilen
und an etwaigen Verhandlungen darüber habe
theilnehmen wollen.
Soviel ist für jeden Unbefangenen klar, daß,
wenn die Aussagen Dörings ebenso viel Glaub
würdigkeit beanspruchen konnten, wie die in Be
treff der schleunigen Reise festgestellten Thatsachen,
daß dann Jordan nicht nur der Mitwissenschaft,
sondern auch der Theilnahme an den Umsturz-
Plänen überwiesen war. Allein an der Glaub
würdigkeit Dörings fehlte sehr viel. Dieser hatte
nämlich schon in der letzten Zeit seines Marburger
Aufenthaltes wegen seines lüderlichen Lebens
wandels die Achtung aller Gutgesinnten eingebüßt,
hatte später als Hammerwerksbesitzer bei L a a s p h e
an einem Menschen, welchen er für einen Lieb
haber seiner Zuhälterin hielt, ans Eifersucht einen
Todtschlag verübt, weshalb er zu 6 Jahren
Festungshaft verurtheilt wurde. Während er
diese Strafe verbüßte, wurde er ferner, weil er
überwiesen war das Haupt der Marburger Re
volutionäre im Jahr 1833 gewesen zu sein, zu
15 Jahre Festungshaft verurtheilt. Erst nach
der letzteren Verurtheilung deutete Döring an,
daß er, wenn er auf Begnadigung hoffen dürfe,
wichtige Enthüllungen zu machen bereit sei.
Daraufhin sicherte ihm — was ein sehr bedenk
licher Schritt war — eine Königlich Preußische
Kabinets-Ordre vom 18. Februar 1840 nach
Maßgabe der Erheblichkeit seiner Geständnisse
theilweise oder völlige Begnadigung zu. Nunmehr
machte Döring die für Jordan so ungünstigen
Aussagen, welche aus seinem Mund kommend
gegründeten Zweifeln begegnen mußten.
Durch die Menge von Judicien und von
Zeugen-Aussagen, über welche der Angeklagte ver
nommen wurde, namentlich auch dadurch, daß
manche Zeugen aus weiter Ferne herbei geholt
werden mußten, zog sich die Untersuchung und
damit auch die Haft Jordans sehr in die Länge.
Ein Gesuch des Gefangenen, ihn auf Bürgschaft
aus der Haft zu entlassen, blieb erfolglos. Doch
wurde das Obergericht durch ein ärztliches Zeug
niß über Jordans leidenden Zustand dazu ver
mocht, denselben im September 1841 aus dem
Kerker in seine Wohnung überführen zu lassen.
Hier wurde er Tag und Nacht von Gensdarmen
bewacht, sodaß ihm, wenn er etwa einen Spazier
gang machte, zwei Gensdarmen mit geladenen
Pistolen ans dem Fuße folgten. Diese Erleichterung
seiner Haft dauerte nur etwa 1 '/ 2 Jahr. Denn
die Kurhessische Staatsregierung, welche offenbar
eine baldige Verurtheilnng Jordans, den sie für
ein Haupt der revolutionären Partei hielt,
wünschte und das bisherige gerichtliche Ver
fahren gegen ihn zu langsam und zu nachsichtig
fand, versetzte den bisherigen Direktor des Gerichts
Namens Arnold auf einen anderen Posten und
bestellte statt seiner den Ober-Appellationsgerichts-
Rath Bickell zum Direktor. Dies geschah im
Anfang des Jahres 1843, worauf Bickell ver
anlaßte, daß Jordan wieder in das frühere Ge
fängniß zurückgeführt wurde. Erst am 14. Jul^
1843 erfolgte das Erkenntniß des Marburger
Obergerichts, für welches Obergerichtsrath Heinrich
Eg ge na, der auch die Hauptuntersuchung und
zwar, wie Jordan ausdrücklich bezeugt, mit eben
soviel Würde als Menschenfreundlichkeit geführt
hatte, Referent, Dr. Bickell Korreferent gewesen
war. In diesem Aktenstück, welches noch 14
andere Angeklagte betraf, nahm das Gericht in
Bezug auf Jordan an, daß derselbe in Anbetracht
der großen Menge belastender Zeugen-Aussagen
und Thatsachen trotz seines Leugnens als schuldig
anzusehen sei, von dem Attentat vor dessen Aus
führung gewußt, dasselbe aber der Behörde nicht
angezeigt zu haben; daß er aber hinsichtlich der
Anschuldigung, bei dem Attentat mitgewirkt zu
haben, von der Instanz zu entbinden sei. Als
Strafe wurde ihm Dienstentsetzung und fünfjährige
Festungshaft zuerkannt. Gegen dieses obergericht
liche Erkenntniß legte Jordan nicht nur durch
den Rechtsanwalt Schantz zu Marburg Berufung
an das Ober-Appellationsgericht zu Kassel ein,
sondern verfaßte auch selbst eine Schrift zu seiner
Vertheidigung. Auch von anderer Seite erschien
eine Anzahl von Schriften, welche gegen das ver-
urtheilende Erkenntniß gerichtet waren. So drei
Schriften von A. Boden in Frankfurt, eine
von den Professoren Welcker und Mittermaier
in Heidelberg, eine von Jordans Schwiegervater
Dr. Paul Wigand und noch mehrere andere.
Ueberhaupt herrschte allgemein große Theilnahme
für den Verurtheilten, welche unter anderen auch
in dem Gedicht von Franz Dingelstedt:
„Ostergruß für Kurhessen" ihren Ausdruck
fand. Die Berathungen des höchsten Gerichts
über die vorliegende Sache zogen sich bis zum
Spätherbst des Jahres 1845 hin, ein Zeitraum,
dessen größeren Theil Jordan noch als Gefangener
auf dem Marburger Schloß zubrachte. Die Ein
kerkerung war für Jordan um so drückender, als
er während derselben seine älteste Tochter und
seinen einzigen Sohn, der in Marburg Rechts-