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stell er Heinrich König, in seinem Werke „Ein Still
leben", bekämpften ohne Erfolg ein Uebel, das mit
unregelmäßigen Blutergüssen den Körper zu er
schöpfen drohte. Zuletzt schickten sie den Leidenden
ins Ausland. Der russische Hof und die Aristokratie
sahen den Erzieher des Thronfolgers, den sinnigen
Dichter, den liebenswürdigen Hofmann und Gesell
schafter, mit der verheimlichten Ueberzeugung scheiden,
daß er nicht wiederkehren würde. Um einen alten
Freund aufzusuchen, der sich eben bei einem in Hanau
angestellten Forstbeamten aufhielt, kam Shukowsky in
diese Stadt und ließ sich zur Berathung des Arztes
Dr. Kopp über sein Uebel bestimmen. Der Doktor
schlug eine Operation vor, die von geschickter
Hand in der Schweiz glücklich ausgeführt wurde.
Die erschöpfenden Blutverluste hörten auf und
Shukowsky erholte sich rasch, sodaß er im
blühendsten Aussehen nach Petersburg zurückkehrte.
Seine Herstellung überraschte wie ein Wunder.
Seitdem gingen Wallfahrten kranker Russen Jahr
zehnte lang jeden Sommer über Hanau, wo sie den
Wunderdoktor aufsuchten, um Recepte und Anweisungen
zu Bädern, Operationen oder Reisen zu empfangen.
Und so konnte man damals Hanau wohl mit Recht
als eine russische Krankenstation bezeichnen. „Die
Russen stehen", wie Heinrich Koenig schreibt, „unter
einem despotischen Klima, das ihr Erkranken mehr
als ihr Genesen begünstigt. Mit dem Klima ver
schworen ist die. Lebensweise der Russen, gleich ihrer
Literatur, eklektisch, indem sie die Genüsse und
Gewohnheiten aller Länder zusammentragend sich die
Fülle zur Mannigfaltigkeit nehmen. Man greift
nad) allen Erzeugnissen milder Himmelsstriche, um
sich gegen den nordischen Winter zu erhitzen. Mit
hohen Flammen, bildlich zu reden, brennt der Lebens
genuß, doch die Asche davon rieselt in die Eingeweide.
Hier ist der Herd aller russischen Krankheiten —
der Skrofeln, der Gicht, der Hypochondrie". —
Heinrich Koenig, welcher damals Finanzkammer-
Sekretär in Hanau war, erwähnt in dem angeführten
Buche „Stillleben" eine Anzahl hervorragender
hod)aristokratischer ruffifd)er Dichter, Schriftsteller,
Gelehrter, die theils in Hanau Heilung von obigen
Leiden oder sonstigen sog. vornehmen Krankheiten
suchten, theils in Begleitung ihrer Freunde erschienen
waren. Unser hessischer Sä)riftsteller war mit ihnen
durch Dr. Kopp bekannt geworden und verblieb auch
später, nachdem sie wieder nach Rußland zurück
gekehrt waren, mit denselben in geistigem Verkehr.
Er nennt u. a. Nikolaus Melgunow, die Fürsten
Wjasemsky und Schewyrew, Turgenew, Baron Rosen,
Jasikow, Kireewsky, den Fürsten Odojewsky u. s. w.
Der Umgang mit diesen vornehmen Russen, namentlich
mit dem gelehrten Nikolaus Melgunow, erweckte in
Koenig Lust und Liebe zu russischer Literatur und
so entstanden seine „Literarischen Bilder aus Rußland",
die 1837 bei Cotta in Stuttgart erschienen, Glück
machten uub sich den Beifall der bedeutendsten
russischen Literaturen erwarb. — Auf Dr. Kopp wird
eine jener Anekdoten, die „überall und nirgends
passiven“, zurückgeführt. Eine reiche vornehme russische
Dame kam nach Hanau und konsultirte den Dr. Kopp.
Sie war eine „eingebildete Kranke" und quälte
denselben mit ihren aügeblichen Leiden auf das
Unbarmherzigste. Um sick) von ihr zu befreien,
erklärte er ihr, daß das einzige Mittel sie zu heilen,
der Gebrauch des Bades Ems wäre. Rasch entsä)loß
sie sich, dorthin zu reisen, bat aber Dr. Kopp, ihr
ein Empfehlungsschreiben an einen dortigen Arzt mit
zugeben. Bereitwilligst ging Dr. Kopp darauf ein und
übergab ihr den Brief verschlossen. Die russische Dame
plagte als echte Eva's Tochter unterwegs die Neugierde,
sie öffnete den Brief und mit Ensetzen las sie
die lakonischen Worte: „Lieber Kollege! Ich sende
Ihnen in der Ueberbringerin zur ärztlichen Behandlung
eine goldene Gans. Rupfen sie dieselbe, wenn es
Ihnen Vergnügen macht." Von der Stunde an war
die Russin von ihren eingebildeten Krankheiten ge
heilt. Sie ging nidjt nach Ems, kehrte vielmehr
nach Petersburg zurück und bewegte sich frisch und
gesund in den Salons der Aristokratie. — Dr. Kopp
war klein von Figur, zur Korpulenz neigend, mit
energisck)em Ausdrucke tut Gesichte, aber schielendem
Blicke. Aeltere Hanauer werden sich seiner noch
erinnern, wie er gravitätisch mit hohem Cylinderhute
und großem, mit goldenem Knopfe versehenen Rohr
stocke, wie solchen damals die Aerzte zu tragen pflegten
bei seinen Krankenbesuchen durck) die Straßen der
Stadt wanderte. Der durck) seine Intelligenz
hervorragende Herr, der über eine so reiche Fülle
von Wissen und Können verfügte, soll übrigens, wie
dies ja häufiger bei großen Gelehrten vorzukommen
pflegt, von hochgradigem Selbstgefühle, von Recht
haberei und leidenschaftlicher Heftigkeit nicht frei
zusprechen gewesen sein. Er starb 1858. Der be
rühmte Vater hinterließ einen noch berühmteren Sohn.-
den Professor der Physik und Chemie, Geheimen
Rath Dr. Hermann Kopp, früher in Gießen, seit
1864 in Heidelberg.
K- Z.
Aus Heimath und Fremde.
Es trifft sich gut, daß die heutige Nummer unserer
Zeitschrift, in welcher unter den „Lebensbildern von
Marburger Professoren" von Friedrich Münscher ein
Artikel über Sylvester Jordan enthalten ist, durch
ein Gedicht von dessen Enkel, dem Chef der Finanzen
zu Oaxaca, im Staate Mexico, Ricardo Jordan
eingeleitet wird. Derselbe hat uns vom Anbeginne
des Bestehens unserer Zeitschrift eine sehr freundliche
Gesinnung entgegengebracht, wiederholt hat er uns
mit schätzenswerthen Beiträgen erfreut, wofür wir