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um Anordnungen für den Mittagstisch zu
treffen.
Der Amtsrichter sprach selbstverständlich, so
oft wie möglich, bei Löpels vor, und als er im
Laufe des Tages einmal zufällig einige Zeit
allein mit dem Freunde im Zimmer war, fragteer:
„Sage mal, Richardus: was wird denn später
hin aus unseren Zusammenkünften bei Howald?
Wollen wir sie fortsetzen?"
„Dürfen wir sie "fortsetzen? mußt du sagen
Freundchen! Bis jetzt war deine rechtzeitige
Abfahrt mit dem Zuge ein triftiger Grund bei
Howald einzukehren. Aber . . . ."
„Ja, der fällt allerdings bei meiner dem-
nächstigen Uebersiedelung nach hier fort; dennoch
hoffe ich — wenn auch nicht beide Abende — so
wenigstens einen Abend der Woche mit dir im
Eckzimmerchen bei Howald zu verplaudern."
„So?!" Löpel zwinkerte dem Freunde fuchs
listig zu und stichelte: und das nennen wir denn:
„Ich habe heute Sitzung," nicht so?"
Der Amtsrichter lachte hell auf, legte die Hände
um's Knie des übergeschlagenen Beines, lehnte
sich im Sessel zurück und erwiderte:
„Wäre die richtigste Bezeichnung, und impvnirt
den Frauen stets durch ihren würdevollen Ernst."
„Ich würde den Samstag vorziehen" erklärte
der Kassierer freimüthig.
„Weshalb?"
„O, du noch uneingeweihter Glücklicher!" rief
Löpel in drolligem Ernst. „Du weißt noch nicht,
daß ein Ehemann Samstags in seiner Häuslich
keit Flügel haben müßte, um ohne Anstoß über
Schrubbeimer, Putzlappen und dergleichen fort
zu schweben! Das ist jedoch nur e i n Grund;
der zweite ist: daß wir. wenn die Sitzung sich
etwas lange hinziehen sollte, einen Ruhetag vor
uns haben."
„Deine Gründe sind stichhaltig; wühlen wir
also den Sonnabend." —
Nach diesem letzten Beisammensein im Löpel'-
schen Hause wurde der Freundeskreis auf längere
Zeit getrennt. Die Versetzung und Heirath des
Amtsrichters, seine Hochzeitsreise und Flitter
wochen drängten sich trennend zwischen jede Ein
kehr bei Howald.
Endlich an einem naßkalten Juli-Abend traten
die Freunde gemeinsam in das für die „Sitzung"
reservirte bekannte Eckzimmer.
(Forts, folgt.)
■S-Ä-J-
Aus alter und neuer Zeit.
Die Belagerung von Valenciennes. An
dem Kriege Deutschlands, welcher nach Ausbruch der
französischen Revolution von 1789 gegen Frankreich
stattfand, hatte, wie allgemein bekannt ist, auch
der Landgraf von Hessen-Kassel Theil genommen,
indem derselbe in Folge einer am 26. Juli 1792 mit
Preußen abgeschlossenen Konvention ein Korps von
6000 Mann stellte. Es gehörte hierzu außer anderen
Truppentheilen das landgräflich Hessen-Kassel'sche
Füsilier-Regiment von Loßberg, dessen Standquartier
Rinteln war. Als Quartiermeister dieses Regiments
war George Ludwig Christian Heuser bestellt, welcher
als solcher auch schon den amerikanischen Krieg mit
gemacht hatte.
In jenem Kriege mit Frankreich kam es im Som
mer 1793 unter anderem auch zur Belagerung der
befestigten StadtValenciennes (im Departement Nord).
Unter den nachgelassenen Papieren des vorerwähnten
Regiments-Quartiermeisters findet sich ein von dem
selben au seine Angehörigen in Hessen (Holzheim bei
Niederaula) gerichteter Brief vor, welcher in Bezug
auf jene Belagerung von Valenciennes von allge
meinem Interesse sein dürfte, daher er hier mit
getheilt werden soll. Er lautet wörtlich, wie folgt:
„Aus dem Lager bei Valenciennes
am 27. Juli 1793.
Seit unserer Ankunft vor Valenciennes hat das
Bombardement unaufhörlich fortgedauert, und ist vieler
Menschen Leben verloren gegangen, doch hat das
hessische Korps wenig gelitten. Vorgestern (25. Juli
1793) habe ich den merkwürdigsten Tag meines Lebens
erlebt; selbst das unter meinen Augen aufgeflogene
große Kriegsschiff und den erlittenen Sturm, wo zwei
Kompagnien von Loßberg vor meinen Augen unter
gingen, mit einbegriffen. Dieser Tag war nämlich
dazu bestimmt, um Minen zu sprengen und mit
Sturm einen bedeckten Weg einzunehmen. Das Vor
haben wurde geheim gehalten und die Ausführung
war Abends um 9 Uhr bestimmt. Da ich davon
unterrichtet war, ging ich an einen Ort, wo ich Alles
mit ansehen konnte, was vorging. Der Feind merkte
nichts. Das Signal zur Attaque war die Sprengung
der ersten Mine, diese erfolgte gleich nach 9 Uhr;
eine solche Explosion könnt Ihr Euch nicht denken, alle
Steine wurden in die Stadt geschleudert, die aus
gestoßene Erde füllte größtentheils den Graben, durch
welchen die Stürmenden mit Hülfe von Faschinen
gleich vorrückten. Zu gleicher Zeit fing ein solches
Bomben- und Kanonen-Feuer aus allen Batterien
an, daß die Erde unter mir erbebte. Nun sprang