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kebensbLlöer von Uarburger Wrosefform.
Von Friedrich Münscher.
Sylvester Jordan.
Das Sprichwort, daß dem Menschen nicht
an der Wiege gesungen wird, was ihm im
späteren Leben begegnen soll, hat sich vor vielen
Andern an dem Mann bewahrt, der am 30.
Dezember 1792 in dem bei Innsbruck ge
legnen Dorfe Axans geboren wurde und am
folgenden Tag bei der Taufe nach dem Schutz
heiligen des Tages den Namen Sylvester er
hielt. Seine früheste Jugend brachte er in den
drückendsten Verhältnissen zu, denn sein Vater,
ein armer Schuhflicker Namens Jordan, ver
mochte nur mit genauer Noth die Seinigeu zu
ernähren und verbitterte ihnen noch obendrein
durch sein grämliches Wesen ihr Dasein. Aber
trotz der ungünstigen Umgebung entwickelte sich
in unserem Sylvester ein reger Geist. Der Knabe
zeichnete sich frühzeitig durch ungewöhnliche Lern
begierde aus, die ihn antrieb, fast ohne fremde
Beihülfe Lesen und Schreiben sich anzueignen.
Noch stärker entwickelte sich bei ihm ein tief
religiöser Zug, der durch das Lesen von Legen
den noch gesteigert wurde. Sein Ideal und
tägliches Gebet war dereinst zu dem bei Gott
und Menschen bevorzugten Stand der Geistlichen
zu gelangen. Diese Richtung bewog einige Geist
liche seiner Heimath. ihm einen Platz in dem
Gymnasium zu Innsbruck zu verschaffen, wo er
sich die für einen künftigen Geistlichen unent
behrlichen Kenntnisse erwerben sollte. Mit Freuden
betrat der 13 jährige Knabe diesen Weg, obgleich
er auch hier mit harten Entbehrungen zu kämpfen
hatte. Denn die Unterstützungen flössen nur
kärglich, sodaß das junge Bürschchen, nachdem
es sich kaum die ersten Anfangsgründe des
Wissens angeeignet hatte, schon durch Privat
unterricht sich das Nöthigste zum Lebens-Unter
halt verdienen mußte. — Diese Zeit des Lernens
und Lehrens wurde plötzlich gewaltsam unter
brochen. Im Jahr 1809 erhoben die Tyroler
die Fahne des Aufstandes gegen die ihnen von
Napoleon I. aufgedrungene bayerische Herr
schaft und durch den dadurch entbrannten Kampf,
der trotz ihres heldenmüthigen Ringens mit der
Unterwerfung endigte, wurde die Thätigkeit der
höheren Lehranstalten auf längere Zeit gehemmt.
Die Unterbrechung seiner Studien hatte auf
Sylvester Jordans geistige Entwicklung einen
bedeutenden Einfluß. Wenn er seinen Lebens
plan nicht aufgeben sollte, so mußte er eine
andere Lehranstalt aufsuchen, und hierzu bot
sich das Lyceum zu München als die nächste
und bedeutendste. An dieser, die bei weitem
höher stand als die zu Innsbruck, wirkten da
mals sehr tüchtige Männer, z. B. Kajetan
von Weiller, welche auf Kopf und Herz ihrer
Schüler einen gewaltigen Einfluß übten. Sv
kam es, daß der 18jährige Jüngling eine große
innere Umwandlung erfuhr. Er erkannte, daß
in den religiösen Vorstellungen, welche er in
Throl überkommen hatte, viel Aberglaube und
Unduldsamkeit enthalten sei, und, ohne von seiner
Kirche abzufallen, gewann er doch einen freieren
Blick für das, was in der christlichen Religion
das Beseligende ist. Daraus entwickelte sich ein
Gegensatz zwischen ihm und seinen bisherigen
Gönnern in Tyrol. Er galt ihnen nun als ein
Abtrünniger. Die veränderte religiöse Anschauung
bewirkte auch einen Wechsel in seinen Lebens
zielen. Er entsagte nämlich dem früheren Vor
satz Geistlicher zu werden und begab sich, nach
dem er sich auf dem Lyceum in München die
erforderliche Vorbildung erworben hatte, auf die
Universität Landshut, um sich dem Studium
der Rechtswissenschaft und Philosophie zu wid
men. Seine Lebensweise war hier wie vordem
in Innsbruck und München eine sehr dürftige,
indem er sich seinen Unterhalt durch Privat
unterricht verdienen mußte. Aber die Freude
am Lernen erhob seinen Geist über alle Schwierig
keiten und ermunterte ihn zum augestreugtesten
Fleiß. Die Frucht dieser Anstrengungen war,
daß ihm nach Verlauf einiger Jahre nicht nur
die juristische, sondern auch die philosophische
Doktorwürde zuerkannt wurde. Nachdem er die
Universität verlassen hatte, übernahm er nach
einander bei mehreren Rechtsanwälten die Stelle
eines Gehülfen, bis ihm endlich im Jahre 1820
das Ziel seiner Wünsche, die Erlaubniß juristische
Vorlesungen zu halten, an der Universität
Heidelberg zutheil wurde. Von hier aus
machte er durch ein günstiges Geschick die Be
kanntschaft des Kurhessischen Geheimen Kabinets-
raths von Ko pp, der als Privatmann in
Mannheim lebte. Dieser, der an dem jungen
strebsamen Mann Gefallen fand, empfahl ihn
der Kurhessischen Regierung, und auf dessen Für
sprache wurde Jordan im Jahr 1821 als außer
ordentlicher Professor der Rechte nach Marburg
berufen. Schon im folgenden Jahr wurde der
damals 30 jährige Mann zum ordentlichen Pro
fessor ernannt und hatte damit eine gesicherte
Lebensstellung erreicht, sodaß er seine Braut,
Maria Staudinger aus München, in
seine neue Heimath einführen konnte. Hier er