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Kommt, laßt uns nach Siegen eilen,
Laßt uns die Gefahren theilen;
Uns beseele Römisch' Blut!
Wenn nun auch wirklich das Gedicht keinen
großen poetischen Werth hat, so sind doch die
Verse bis etwa auf zwei oder drei metrisch ganz
gut und die Strophen formgerecht aufgebaut.
Die paar schlechten Reime kann man füglich
dem Sänger nicht einmal auf's Kerbholz schnei
den; zu jener Zeit durften sich die Poeten solche
Reime schon erlauben und noch heute glauben
leider gar Manche sich dergleichen Sünden an der
deutschen Sprache und an deutschen Ohren gestatten
zu dürfen. Den Dichter-Grenadier können wir uns
also ganz gut als einen Mann vorstellen, der
damals über die Durchschnittsbildung ziemlich
hinaus ragte. Das aber ist gerade wichtig bei
der Sache. Denn wenn es schon überhaupt der
reinste Blödsinn wäre, einen Sklavenzustand zu
besingen, so ist von einem Grenadier, der in
der Dichtkunst Bescheid weiß, nicht anzunehmen,
daß er mit mehr oder weniger poetischem
Schwünge in gebundener Sprache Ruhm und
Unsterblichkeit für ein Heer in Anspruch nimmt,
dessen Soldaten sich als Sklaven verkaufen
ließen und dessen Uniform er selber trug. Bon
diesem Gesichtspunkt aus das Gedicht betrachtet,
schlägt es alle die „vielen und bedeutenden
Historiker", welche nicht ablassen, die Lüge in
der Seume'schen Biographie nachzuschreiben.
Seume war mir immer, trotz manchen kühlen
Zuges, ein sympathischer Dichter, und da seine
Gedichte von jenem weißen Sklavenhandel nichts
wissen, so wäre ich nicht abgeneigt, die betreffen
den Stellen der Selbstbiographie für eine
Fälschung seiner späteren Nach-Biographen zu
hallen. Allein wer will heute noch darüber
Auskunft geben? Die Lüge findet sich nur ein
mal, und zwar als solche erkennbar, in dem
selbst geschriebenen Theile seiner Biographie,
hochgelehrte Männer schreiben und reden sie
gedankenlos nach, und somit hat Seume
uns Hessen eine Beleidigung hinterlassen, die
wir ihm nicht vergessen können, und gegen die
wir uns so lange wehren müssen, als die Lüge
weiter gedruckt wird.
Augenblicklich*) fühle ich mich überdies persön
lich aufgefordert, gegen die Sache Front zu
machen, indem Seume mit seinem Märchen so
gar in meine Familie eingedrungen ist. Denn
als ich dieser Tage von meinen Amtsgeschäften
nach Hause komme, tritt mir mein kleines zehn
jähriges Töchterchen mit den Worten entgegen:
*) Der Artikel ist zu Anfang December v. I. ge
schrieben.
„Aber Papa, die hessischen Fürsten waren recht
garstige Menschen, die haben ja Seelen ver
schachert und ihr Volk als Sklaven verkauft!"
Tableau! Wie war es nur möglich, daß
Seume das Gehirn von diesem unschuldigen
Guckindiewelt berücken konnte? Woher nahm
das Kind diese historische Lüge, da es doch
unsere hochgelehrten „bedeutenden Historiker"
noch nicht in die Hände bekommt? . . . Sehr
einfach! In Nürnberg erscheint eine prachtvoll
ausgestattete und sehr weit verbreitete „Kinder-
Gartenlaube", zur Bildung der deutschen Jugend,
und der eben heftweise erscheinende sechste Band
enthält einen Artikel „Aus Seumes Leben" von
Ludwig Göhring, darin ich. wieder einmal
gedankenlos nachgeschrieben, aber auch mit
einigen neuen Abgeschmacktheiten versetzt, folgendes
lese:
(Seite 79.) „Der Landgraf von Hessen-
Kassel war der größte Soldatenlieferant.
Vom Jahre 1776 an hatte er alljährlich
Kanonenfutter über das Meer geschickt und
dafür ein hübsches Geld eingesteckt. Wie
sich aber zuletzt auch der tiefste Brunnen
ausschöpfen läßt, so geschah es auch hier,
daß gar bald auf gewöhnlichem Wege keine
Rekruten mehr auszutreiben waren. Die
Werber des Landgrafen, an Nieder
trächtigkeiten läng st gewöhnt,
wußten aber Abhülfe zu schaffen, indem
sie sich fortan aufs Re krutenstehlen
verlegten .... Ueberredung, List, Be
trug, Gewalt —, alles galt. Man fragte
nicht nach den Mitteln zu dem verda ärm
lichen Zwecke."
(Seite 91.) Außer dem glänzenden Antrag
kitzelte mich (Seume) vorzüglich, dem Ehren
manne von Landgrafen für seinen Seelen
schacher einen Streich zu spielen."
(Seite 168.) Hier schreckte uns die Besorg-
niß, daß wir bei Minden würden an die
Preußen verkauft werden. Es wurde laut
davon gesprochen und der gewissenlose
Seelenschacher des alten Landgrafen
machte die Sache nicht unwahrscheinlich."
(Seite 169.) „Das Leben war gerettet, . ..
und der Landgraf erlitt einen Verlust von
einer Hand voll Thaler, die er aus mei
nem (übrigens von Seume nicht geschrie
ben!!) zweiten Verkaufe hätte lösen
können."
So also wird die alte Lüge selbst in die wei
testen Kreise der deutschen Jugend gebildeter
Stände getragen und dieser als geistige Kost
vorgesetzt, damit dies pikante Gericht nicht von
der Tafel des politischen Gaumenkitzels ver
schwindet. Und daß Herr Göhring nicht an-
Anm. d. Red.