275
Im Jahre 1885 wurde in Kassel eine Volks-
küche errichtet. Dank der Sympathien, welche diese
dem Volkswohle gewidmete Anstalt gleich anfangs in
allen Theilen der hiesigen Einwohnerschaft fand, und
der trefflichen umsichtigen Leitung ist cs innerhalb
der kurzen Zeit von vier Jahren ermöglicht worden,
ein eigenes Haus zn bauen, welches, am Holländischen
Thore gelegen, am Mittwoch den 11. d. M. feierlich
eröffnet wurde. Zahlreich waren die geladenen Gäste
zu diesem Akte erschienen. Das stattliche, zweck
mäßig eingerichtete Gebäude ist nach dem Entwürfe
und unter Leitung des Baumeisters W. Böttuer
aufgeführt. Der um das Unternehmen sehr ver
diente Vorsitzende, Stadtrath G. Knetsch gab in
der Eröffnungsrede ein sehr erfreuliches Bild der
Entwickelung der Anstalt, deren erfolgreiche und
namentlich für den Arbeitcrstand segensreiche Wirk
samkeit allgemein anerkannt wird. Wir gedenken
hier dieses Vorkommnisses ganz besonders aus dem
Grunde, weil wir die Volksküche, so wie sie hier besteht,
für eine der besten uud heilsamsten Errungenschaften
hallen, die Kassel in den letzten Jahren aufzuweisen hat.
Daß unsere hessischen L a n d s l e u t e i n Nord
amerika von treuer Anhänglichkeit an ihr altes
Heimathland Hessen beseelt sind, ist eine bekannte
Thatsache. Selten lassen sie sich eine Gelegenheit entgehen,
um derselben Ausdruck zu geben. So feierten sie auch
jetzt wieder gu New-Uork ein ‘ „Großes H es-
sisches Volksfest", das einem von der „Kasseler
Allgemeinen Zeitung" veröffentlichten Plakate zu
folge, von Vereinen, welche die Namen „Franken
berger Verein", „Fuldaer Verein", „Schlüch-
terner Freundschaftsbund" , „Marburger Verein",
„Wilhelmshöher Verein" , Verein Wabern",
„Hessischer Sängerbund", „Allgemeiner Hessen-
Verein" führen, veranstaltet worden ist. Alle denk
baren Spiele, welche nur jemals im Hessenlande
üblich waren, wurden dabei gespielt, hessische Lieder
gesungen und Bilder aus Hessens geschichtlicher Ver
gangenheit dargestellt. Auch „Schwarzenbörner Streiche"
fehlten nicht, ebensowenig eine „Hessische Dorf
schule" und eine „Hessische Spinnstube". Den sehr
umfangreichen musikalischen Theil leitete Kapell
meister Heinrich Engel, eine in Kassel viel
bekannte Persönlichkeit. So verstehen es die Hessen
dort drüben, sich im fernen Lande ein Stückchen
Heimath herzuzaubern, um fröhliche Stunden unter
sich in der Erinnerung an das Hessenland zu ge
nießen.
Univ ers itätsna chrichten. Der Professor
der Rechtswissenschaft Dr. Franz von Liszt zu
Marburg hat einen Ruf an die Universität Halle
erhalten und angenommen. — Dem Vernehmen nach
soll Professor Dr. Friedrich Oetker in Rostock
als Nachfolger des Prof. Dr. Liszt in Marburg vor
geschlagen sein, an welcher Hochschule Prof. Oetker
bekanntlich vor einigen Jahren als Privatdozem seine
akademische Laufbahn begann.
Todesfälle. Am 6. September verschied nach
längerem Leiden im Alter von 64 Jahren der Pro
rektor des Gymnasiums zu Hanau, Professor-
Friedrich Krause. Der Verblichene, gebürtig
aus Sontra, hatte das Gymnasium zu Hersfeld be
sucht und von Ostern 1845 ab Mathematik und
Naturwissenschaft zu Marburg studirt, wo er Mitglied
des Corps Hassia war. Er wirkte als Lehrer an
den Gymnasien zu Rinteln, Marburg, Wiesbaden
und Hanau und war als solcher ebenso hochgeschätzt
von seinen Kollegen wie von seinen Schülern.
Am 11. September starb in Kassel nach längerem
schweren Leiden der praktische Arzt, Kreiswnndarzt
Dr. Theodor Köhler tut Alter von 57 Jahren.
Der Dahingeschiedene zählte s. Z. zn den am meisten
beschäftigten Aerzten der Stadt Kassel. Man rühmt
ihm nach, daß er einen scharfen Blick für die Diagnose
besessen und sich stets einer rationellen Behandlung
der Kranken befleißigt habe. Er war humoristisch
beanlagt, wenn man will sogar ein Original, und
viele seiner Schwänke kursiren heute noch im Publikum.
Auch in literarischer Beziehung war Dr. Theodor-
Köhler mit Erfolg thätig. Er gab u. a. hier eine
populär gehaltene medicinische Wochenschrift, sowie die
Schriften seines Freundes Wilhelm Lynker (si 20.
Januar 1862) heraus. Eine von ihm bis auf die
Neuzeit vervollständigte Geschichte des Theaters in
Kassel, von demselben Verfasser, erschien dahier im
Verlage der Hofbuchhandlung von G. Klaunig im
Jahre 1865.
Hessische Sücherschau.
In dem Verlage von Map Brnnnemann dahier
erscheinen in zwangloser Folge seit Juni:
Mittheilungen aus der Rechtspflege im
Gebiete des vormaligen Kurfürsten
thum s H e s s e n (Oberlandesgerichtsbezirk Kassel,
Kreise Rinteln und Schmalkalden, Amtsgerichts
bezirk Bockenheim), herausgegeben von Felix
V i e r h a u s, Oberlandesgerichtsrath in Kassel,
und Maximilian Theobald, Amtsgerichts
rath in Kassel.
Seit dem Eingehen der von Heuser heraus
gegebenen Annalen der Justiz und Verwaltung im
Bezirke des königl. Oberlandesgerichts und der königl.
Regierung in Kassel fehlt es an jeder öffentlichen
Mittheilung darüber, wie das im Bereiche des vor
maligen Knrfürstenthums Hessen geltend^ einen großen
Kreis von Rechtsnormen umfassende Sonderrecht in
der Praxis sich fortbildet. Es ist daher die Schaffung