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die Unvorsichtigkeit des Küsters, der andere aber
durch einen Blitzstrahl, in dem man ein Straf
gericht Gottes sah, entstanden sein. Auf das
Nachsuchen des Abtes Johannes von Merlau
hatte nämlich Papst Bonifatius IX. das Verbot
aufgehoben, welches allen Frauen den Eintritt
in die Kirche verschloß. Am 5. Juni 1397 standen
zum ersten Male die Kirchenthore auch für fromme
Beterinnen, die sich zum Grabe des hl. Bonifatius
drängten, offen, und siehe, zwei Tage später fiel
der zündende Funke vom Himmel. — was Wunder,
wenn das abergläubische Volk darin eine Strafe
für die freventliche Neuerung sah. —
Langsam erhob sich die Stiftskirche aus der
Zerstörung, ohne jedoch wieder die frühere Schön
heit zu erlangen. Aber wenn ihr auch der
von Abt Hadamar verliehene Schmuck fehlte, so
war sie doch nach Grundlage und Einteilung
unverändert geblieben und stand noch immer als
ein herrliches Denkmal des altchristlichen Basiliken-
styles da, als im Jahre 1700 Adalbert von
Schleifras zum Fürstabt erwählt wurde.
Natürlich sah dieser perrückentragende Fürst in
dem prächtigen mittelalterlichen Bauwerk nichts
anderes als das Gebilde eines rohen Geschmackes,
und da ihm sein sparsamer Vorgänger Placidus
von Droste die Summe von 600,000 Gulden
zur Restauration der Kirche hinterlassen hatte,
so entschloß er sich zu einem totalen Neubau
im Geschmacke seiner Zeit. Dem feinsinnigen
Architekten Johannes Dienzenhofer aus
Bamberg, den er von Rom nach Fulda be
rufen hatte, übertrug er diese Sache, und dieser
führte in den Jahren 1704—1712, nach dem
Vorbild der St. Peterskirche zu Rom, in>
römischen Barockstyl die jetzige Domkirche auf,
welche am 15. August 1712 eingeweiht wurde.
Wenngleich es gewiß sehr zu beklagen ist, daß
Adalbert I. die schöne altehrwürdige Stiftskirche
ohne Noth und nur aus Banlnst dem Unter
gänge geweiht hat. so ist doch auf der anderen
Seite anerkannt, daß Dienzenhofer's lauteres
Schönhcitsgefühl alle abenteuerlichen Ausschrei
tungen vermieden und in seiner Schöpfung ein
edles Kirchenbild gegeben hat. das durch schlichte
Würde und ruhigen erhabenen Ernst sich vor
den meisten gleichzeitigen deutschen Bauwerken
sehr Vortheilhast auszeichnet. Indem wir davon
absehen, hier eine ausführliche Beschreibung des
Fuldaer Domes zu geben, wollen wir nur
hervorheben, daß gerade die Anordnung der in
Kreuzesform erbauten Bonifatiusgruft bei Sach
verständigen hohes Lob findet. Sie befindet sich
unter dem hohen Chore, an Stelle der früheren
westlichen Krypta, bei deren Erweiterung und
Erneuerung es dem Baumeister zur Pflicht ge
macht worden war, den Sarkophag des Heiligen
unverrückt stehen zu lassen. Letzterer ist in einen
reich geschmückten Altar eingeschlossen, dessen
Skulpturen aus Alabaster der Fuldaer Bild
hauer Johannes Neudecker geschaffen hat.
Das Altarblatt zeigt die Ermordung des Apostels,
das Antipendium in liegender Stellung eine
ehrfurchtgebietende Gestalt, die sich aus dem
Grabe zu erheben scheint. Die geplante styl
gerechte Ausschmückung will diesem Altare nur
eine reichere Vergoldung zu Theil werden lassen,
während das große Bogenfenster ans der gegen
überliegenden Westseite, das einzig die Gruft er
hellt, dreigliedrige Glasgemülde erhalten soll. Die
freistehenden Säulen dorischer Ordnung, welche
die Wölbung tragen, sollen reich mit Marmor
bekleidet werden, wie auch die Seitenwände, die
in Nischen sechzehn kolossale ans Sandstein ge
arbeitete aber broneirte alte Statuen hl. Päpste
und Bischöfe darbieten, durch wirkungsvolle
Ornamentik belebt werden sollen. Außerdem
sind noch zwei Wandgemälde für das Gewölbe,
mosaikartiger Bodenbelag, sowie eine Ver
schönerung der zwei breiten Treppen, welche die
Verbindung mit der Oberkirche vermitteln, in
Aussicht genommen.
Das Königl. Staats-Ministerium hat bereits
die Vorarbeiten durch Baurath Hof mann
in Fulda und Professor Luthmer in
Frankfurt a. M. anfertige» lassen, welche
eine Vorstellung der geplanten Ausgestaltung
gewähren. Aber wenn auch von dieser Seite
weitere Unterstützung zu erwarten ist, so kann
die baldige Verwirklichung des schönen Unter
nehmens doch nur durch die Opferwilligkeit aller
Verehrer des hl. Bonifatius möglich werden.
Wer aber sollte dem großen Heiligen die Ver
ehrung versagen? — Ihm, der, wie der Aufruf
des Comitos sagt, „es verstand auf allen Gebieten
des kirchlichen und politischen Lebens die Nation
so zu heben, daß er als die tiefer liegende
Ursache anzusehen ist, weshalb das römische
Kaiserthnm Karl's des Großen nicht an Frank
reich, sondern an Deutschland übergegangen ist.
Das Grab eines solchen Mannes, des Begründers
unserer Kultur, des Herstellers politischer Einheit,
des Apostels unseres Vaterlandes muß gewiß
jedem Deutschen, welcher Richtung er auch an
gehören mag, hehr und heilig sein", — mehr
wie allen aber, fügen wir hinzu, den Be
wohnern des Hessenlandes. —
I. Krincau.
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