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dies den im Saal des „Hochzeilshauses« Anwesenden
zu verkünden. Bei ihrer Schönheit und reichen Mit
gift fehlte es Maria dort nicht an jungen Männern,
welche sich um ihre Gunst bewarben. Besonders war
dies bei dem Junker Hermann von Wartenschlehe der
Fall. Dieser, ein Kämmerling des Landgrafen, war
von der Schönheit und Anmuth der reichen Erbin so
eingenommen, daß er seinem Oheim, welcher Hofmarschall
im Dienst des Landgrafen war, seinen Willen kund
gab, daß die schöne Maria unter allen Umständen
sein ehelich Gemahl werden müsse. Der Oheim hatte
nun an und für sich gegen eine solche Verbindung
nichts einzuwenden, — nahm er doch an, daß dies
das beste Mittel sei, seinen Neffen auf eine solide
Lebensbahn zu führen — glaubte aber mit Fug und
Recht, daß Meister Kilian dazu seine Einwilligung
nicht ertheilen würde; denn dieser wollte eben nur einen
Schlächter zum Eidam haben und hatte dem wackern
Valentin die Hand der ehr- und Lugendsamen Maria
nicht allein zugesagt, sondern auch versprochen, daß
unmittelbar nach beendeter Fastenzeit Hochzeit gehalten
werden solle. Aber Junker Hermann beharrte bei
seinem Vorhaben und erinnerte seinen Oheim an das
dem Landesherrn zustehende Recht, als Oberlehnsherr
über Wittwen und Töchter seiner Vasallen — und
ein solcher war Meister Kilian — zu Gunsten seiner
Hofdiener zu verfügen. Nur ungern entschloß sich
der Hofmarschall, bei dem Landgrafen das Anliegen
seines leichtfertigen Neffen vorzubringen und seinen
Herrn auf dieses Ueberbleibsel der Leibeigenschaft auf
merksam zu machen. Er that es aber mit besonderer
Rücksicht darauf, weil er durch eine reiche Heirath
seinen Neffen in den Stand gesetzt sah, sich von seinen
drückenden Schulden zu befreien. Deshalb trug er
dem Landgrafen seines Neffen Bitte vor und bat um
Gewährung derselben. „Bei der heiligen Elisabeth,
meiner frommen Ahnfrau u , entgegnete Wilhelm I.,
), es soll unverzüglich geschehen, und ich werde ihn noch
obendrein zu meinem Hofschlächter ernennen.« Der
Hofmarschall, sichtlich erfreut, rief hierauf mit lauter
Stimme in den Saal: im Namen seines gnädigsten
Fürsten als Oberlehnsherrn erkläre er hiermit und
rufe aus den Junker Hermann von Wartenschlehe und
die ehrbare Maria Kilian nach den ausdrücklichen
Worten der Lehnsordnung:
„Heute zum Lehen,
Morgen zur Ehen,
Und über ein Jahr
Zu einem Paar!«
Die Musik begleitete diese oberlehnsherrliche Ver
kündigung mit einem Tusch, während Junker Hermann,
welcher dicht hinter Maria gestanden, sich dreimal
gegen die Anwesenden verbeugte und Anstalten machte,
seine ihm zugesprochene Braut öffentlich zu umarmen.
Diese aber eilte zu ihrem Vater und theilte ihm mit,
daß der Junker von seinem vermeintlichen Recht auf
den Besitz ihrer Hand alsbald Gebrauch zü machen
beabsichtige, was sie unter keinen Umständen zulasse.
Meister Kilian aber gerieth durch die ohne sein Vor
wissen und gegen seinen Willen erfolgte Verlobung
seiner einzigen Tochter in gerechte Aufregung, erklärte
dem Hofmarschall und den um ihn Stehenden, daß
seiner Tochter Hand bereits an den ihm lieb und
werthen Valentin vergeben sei und er die Absicht ge
habt habe, dieses heute Abend hier im »Hochtzeitshaus«
öffentlich bekannt zu machen. Darauf verließ er mit
Maria deu Saal und begab sich nach Hause, um die
folgenden Tage alles vorzubereiten, daß die Hochzeit
sobald es anginge gefeiert würde. Indessen war Junker
Hermann bestrebt, unter Beistand des Hofmarschalls
dennoch die Hand der schönen Maria zu erlangen.
Allein der Landgraf erkannte bei ruhiger und reiflicher
Ueberlegung, daß die Beibehaltung dieses Lehnrechts
und dessen Ausübung unbillig und ungerecht sei.
Dazu kam noch, daß Valentin und Maria an der Land-
gräfinAnnaeinen mächligenSchutz und eine Fürsprecherin
hatten, welche ihren Einfluß auf ihren nicht gerade sehr
willensstarken Eheherrn zu Gunsten der Verlobten geltend
machte. Und sie vermochte viel bei ihm. Landgraf
Wilhelm faßte in Folge dessen auch den alsbald in
Ausführung gebrachten Entschluß, das nichts weniger
als löbliche und zeitgemäße Ueberbleibsel der früheren
Leibeigenschaft abzuschaffen, wofür ihm seine Unter
thanen, namentlich die Bürger Kassels auf jede Weise
ihren Dank und ihre Freude zu erkennen gaben. An
demselben Tage aber, an dem dieser fürstliche Wille
kund gegeben wurde, fand die Hochzeit Valentin's und
Maria's statt. Daß Maria Hessens letzte Lehnsbraut
war, giebt diesem Ereigniß eine gewisse Bedeutung.
Hermann von Wartenschlehe aber begleitete seinen
Herrn 1491 ins gelobte Land. Er sollte jedoch seine
Heimat nicht wiedersehen, denn er starb bei der Rück
reise auf der Insel Rhodos. Schwank.
Die doppelte Ueberraschung. Im Winter
von 1805 auf 1806 sprengte etwa eine Stunde nach
Mitternacht ein Postillon durch die Straßen der
Stadt Ziegen Hain, welche damals noch Festung
und von zwei Bataillonen Füsiliere der leichten Brigade
besetzt war, und weckte durch sein schmetterndes Horn
die Einwohner aus der süßen Ruhe. Das Ziel des
Postillons war die Wohnung des Stabskapitains
Philipp H Hier ließ er nicht eher vom
Blasen ab, bis er alle Insassen des Hauses an die
Fenster gelockt hatte. Als man ihn fragte, was er
denn wolle, rief er hinauf, er bringe ein Schreiben
an den Herrn Stabskapitain. Darin stehe, daß er
das große Loos gewonnen habe. Flugs war der
Stabskapitain an der Hausthüre, nahm das Schreiben
in Empfang und gab dem Ueberbringer alles Geld,
das er in der Tasche hatte. Dann stürmte er mit