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Sie prüfen Lippe, Kinn und Brauen
Als lüft' ich sie dem jungen Tag;
Den Flor mich breiten dicht und dichter,
Daß Deiner Augen zarte Lichter
Kein Sonnenstaub verletzen mag.
Was fremd, dahin will ich nicht schauen,
Ich will nicht wissen, wo sie brennt,
Ob an der Lipp', ob an den Brauen,
Die Flamme, die Dein Herz nicht kennt;
Ich will nur seh'n in Deine Augen,
Den einen reinen Blick nur saugen,
Der leise meinen Namen nennt.
Ihn, der wie Aether mich umflossen,
Als in der ernsten Abendzeit
Wir saßen Hand in Hand geschlossen
Und dachten Tod und Ewigkeit;
Ihn, der sich von der Sonne Schwinden
Heilig gewendet, mich zu finden,
Und lächelnd sprach: ich bin bereit.
2.
Und wär' es wahr auch, daß der Jahre Pflug
Die Furchen in die klare Stirn getrieben,
Nicht so elastisch Deiner Lippen Zug
Bezeichne mehr Dein Zürnen und Dein Lieben,
Wenn dichter auch die Hülle Dich umschlingt,
Durch die der Strahl, der gottbeseelte, dringt:
Mir bist die immer Gleiche Du geblieben.
Wenn minder stolz und edel die Gestalt,
Ich weiß in ihr die ungebeugte Seele;
Wenn es wie Nebel Deinen Blick umwallt,
Ich weiß es, daß die Wolke Gluthen hehle;
Und Deiner weichen Stimme tief'rer Klang,
Verhallend, geisterhaft wie Wcllensang,
Ich fühl' es, daß kein Liebeswort ihm fehle.
O Fluch des Alters, wenn das bess're Theil
Mit ihm dem Gottesbilde müßte weichen!
Wenn minder liebewarm ein Lächeln, weil
Der Kummer ihm gelassen seine Zeichen,
Ein Auge gütig nur, so lauge leicht
Und anmuthsvoll die Thräne ihm entschleicht,
Und ros'ge Wangen zücht'ger als die bleichen.
Und dennoch hält sie Alle uns bethört,
Die Form, die staubgeborne, wandelbare,
Scheint willig uns ein Ohr, das leise hört,
Kühn einer frischen Stimme Siegsfanfare;
Wir Alle sehen nur des Pharus Licht,
Die Gluth im Erdenschovße seh'n wir nicht,
Und Keiner denkt der Lampe am Altare.
3.
Ich weiß ein bess'res Bild zu finden
Als jenes, das Dir ferner weicht.
Wie tiefer Deine Wurzeln gründen
Und reifer sich die Aehre neigt;
Ein bessres, als zu dessen Rahmen,
Wenn Jahre schwanden, Jahre kamen,
Man wie sein eigner Schatten schleicht.
Lausch' ich am Strande ob der lauen
Entschlaf'nen Fluth mit scheuer Lust,
Wird unter'm Flore dann, dem blauen,
Lebendig mir die ernste Rust,
Ich seh' am Grunde die Korallen,
Ich seh' der Fischlein goldig Wallen
Und schaue tief in Deine Brust.
Und wieder an der Grüfte Bogen
Seh' ich der Maucrflechte Stab
Mit tausend Ranken eingesogen
In des Gesteines Herz hinab,
Von Thaue schwer die grünen Locken,
Leuchtwürmer in der Wimper Flocken,
Das ist Dein Lieben über's Grab.
Und wenn an der Genesung Bronnen
— Im Saale tafeln Stern und Band —
Sich Mittags kranke Bettler sonnen,
Begierig schlürfen über'm Rand
Und emsig ihre Schalen schwenken,
Dann muß ich an Dein Geben denken,
An Deine warme, off'ne Hand.
O jener Quell, der glüh und leise
Ein Sprudel Deiner Brust entquillt.
Der nichts von Flocken weiß und Eise,
Mit Segen seine Steppe füllt,
Ihm kann nur gleichen, wessen Walten
Nie siechen kann und nie veralten,
Und die Natur nur ist Dein Bild.
Die nächste Veranlassung zum Entstehen dieser
Gedichte soll ein gemaltes Bildniß Amaliens
gewesen sein, das aus der Meersburg hing. Dort,
in dem schon von den Merovingern gegründeten
Schlosse am Bodensee, verweilte die Dichterin ja
oft bei ihrer Schwester, die an den berühmten
Germanisten Joseph von Laßberg verheirathet
war; und wie dort nicht nur die uralte, spuk
hafte Burg, „wo Träume lagern langverscholl'ner
Zeit, seltsame Mär und zorn'ge Abenteuer",
mächtig ihre Phantasie inspirirt hatte, sondern
wo anck in der großartigen landschaftlichen
Umgebung ihre Muse die Motive zu ihren er
habenen und gewaltigen Naturbildern gefunden:
dort war es ihr auch beschieden, im Mai des
Jahres 1848, fern von der heißgeliebten Heimath,
zu ewigem Schlummer gebettet zu werden.
Ihre um drei Jahre jüngere Freundin Amalie
Hassenpflug aber überlebte die allzufrüh Ver
blichene noch um dreiundzwanzig Jahre, um dann