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Westen die Lütticher, welche das Zollthvr blokirten.
Von diesem Thore bis zum Hammthore erhoben
sich die Zelte verschiedener Völker. Dem Hamm
thore gegenüber lag das Geldrische Heer, das
aber, ebenso wie dasjenige von Lüttich, dem
Herzog nur gezwungen folgte. Beide Völker
waren den Neußern günstig und thaten
ihnen nicht nur sehr wenig Schaden, sondern
waren ihnen noch dazu von großem Nutzen
während der Belagerung, — wie es heißt, um derer
willen, die von ihren Landsleuten als Söldner
in der Stadt dienten. Namentlich als der Herzog
später Minen graben ließ, waren es die von
Lüttich, welche die Belagerten warnten.
Weiterhin vom Hammthore bis zum Nieder
thor lagen die Flandrischen, die Picarden und
Söldner der verschiedensten Nationen. Es folgten
dann bis zum Rheinthore die von Brüssel,
Mecheln u. a. O.; das Rheinthor selbst endlich
sperrten die Söldner aus der Lombardei. Sie
thaten, ebenso wie die Picarden am Niederthore,
mit ihren großen Geschützen, deren der Herzog
i. G. 350 mit sich geführt haben soll, der Stadt
heftigen Schaden und schossen Thore samt
Thürmen vollständig zusammen. '
So war die Stadt ringsum eingeschlossen bis
auf die Seite der beiden Rheininseln. Aber die
Belagerten waren unverzagt. Einen trefflichen
Gebrauch wußten sie bereits von dem kleinen
Gewehr, den Hand- und Hakenbüchsen zu machen.
Ihre Schützen schwärmten draußen umher und
thaten den Burgundern so nachdrücklichen Schaden,
daß diese es anfänglich nicht wagten, den Gürtel
enge um die Stadt herumzuziehen, vielmehr sich
in respectvoller Entfernung hielten.
Auch herrschte in der Stadt die ruhigste
Zuversicht. An Vorräthen war kein Mangel,
trotz der ungünstigen Jahreszeit, in welcher die Be
lagerung hinsichtlich der Ernte der Feldfrüchte be
gann. Dazu war Wein und Bier in großer Menge
vorhanden; von ersterem fanden sich '700 Fuder
der allerbesten Sorte vor, von letzterem kamen
10000 Faß an Reisige und Landsknechte zur
Vertheilung. So herrschte im Anfang der Be
lagerung das fröhlichste Treiben in der Stadt.
Auf dem Markt, in allen Schänken erklangen
Flöten und Pfeifen und die lustigen Lieder der
Landsknechte. Die Flötenspieler Landgraf Her
manns , den wir schon als einen Freund der
Musik kennen lernten, ließen ihre süßen Weisen
erschallen; kurz, es war nicht, als ob ein er
barmungsloser Feind draußen vor den Thoren
läge, sondern als feierte die Stadt im tiefsten
Frieden ihr Kirchweihfest.
Vor allem sah Karl der Kühne ein,. daß es
nicht möglich sein werde, die Stadt in seine
Gewalt zu bekommen, so lange er nicht auch die
beiden Rheininseln besetzt hätte. Denn von hier
aus konnten den Belagerten fortwährend Unter
stützungen und Lebensmittel zugeführt werden.
Diese Werder in den Kreis der Einschließung
hereinzuziehen, war deshalb sein nächstes Ziel.
Ein Versuch der Picarden und Lombarden, den
Arm des Rheines, der die Inseln vom Festlande
schied, zu durchreiten, schlug gänzlich fehl; in's
tiefe Wasser fortgerissen ertranken Rosse und
Reiter. Dagegen gelang es schon am 4. August
den Belagerern, auf einigen herbeigeschafften
Nachen und Flößen die Werder zu erreichen
und mit drei Fähnlein Landsknechten zu besetzen.')
Damit schien die Einschließung vollendet / und
besorgt sahen die Neußer hinüber nach dem Rheine
und entsandten Boten um Hilfe an die Freunde
in Köln. Aber ehe diese Hilfe ankommen konnte,
wagten sie selbst einen muthigen Handstreich.
Am 6. August öffnete sich plötzlich das kleine
Judenthor, das vom Markte zum Wasser hinab
führte, und etwa 170 Bürger und Söldner traten
in Waffen heraus. Auf Kähnen erreichten sie
zuerst die kleinere der beiden Inseln, dann durch
wateten sie den seichten Wasserarm, der sie von
der größeren und den hier in Schlachtordnung
stehenden Feinden schied. Eine kleine Weile
standen sich beide Schlachthaufen gegenüber, und
gespannt sah man von beiden Seiten dem bevor
stehenden Kampfe zu: die Bürger von Mauern
und Thürmen und der Herzog mit den Seinen
von den hohen Ufern, ohne daß man im Stande
gewesen wäre Hilfe zu bringen wegen des Mangels
der Schiffe. Es war ein Moment des Zögerns
und der Erwartung. Dann aber griffen die
Neußer die Gegner ungestüm an und hieben
erbarmungslos auf sie ein. Es entstand ein
heißes Ringen, denn die Burgundischen wehrten
sich tapfer. So berichtet der Chronist, der selbst
Augenzeuge des Kampfes war, wie der Fahnen
träger der Lombarden (auf dessen rother Fahne
die bedeutsamen Worte standen: Die stehen in
der größten Gefahr, die sich am meisten fürchten),
nachdem ihm ein Neußer beide Hände abgehauen
hatte, die Stange noch mit den blutigen Stünipfen
versuchte festzuhalten. Allein vergebens, ein
wuchtiger Hieb endete sein Leben.
Bald zeigte sich die überlegene Körperkraft der
Germanen und trug den Sieg über Picarden und
Lombarden davon. Wer von diesen den wilden
Streichen entgehen wollte, stürzte sich in die
Fluten des Rheines; aber auch hier fanden Viele
den Tod. Der Rest, meist Verwundete, wurde
gefangen nach der Stadt geführt.
') Annalen des hist. Vereins f. d. Niederrhein, H. 49,
S. 17 f. Nr. 29.