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Tag, Sonntag, der 14. Juli, hauptsächlich den als
Gäste erschienenen Damen gewidmet. Es sollte
dieser Tag Seitens des Corps gleichzeitig den Dank
bilden für eine neue Corpsfahne, welche die Damen
demselben am Nachmittage zu überreichen gedachten.
Im Lauf des Morgens hatte jeder Zug neue Fest-
theilnehmer gebracht. Ein fröhlicher Frühschoppen
im Garten des Kafo Quentin versetzte dieselben zu
nächst in die nöthige Feststimmung. Im Programm
war weiterhin im Kaf6 Quentin ein „einfaches
Miltagsessen" vorgesehen. Dieses aber gestaltete sich
zu einem opulenten Festmahl
Bon 4 Uhr Nachmittags ab entwickelte sich im
Corpshause und im Garten ein reges Treiben.
Kaum faßten die Räume die Menge der Geladenen,
den reichen Damenflor. Ein Signal zeigte den Be
ginn der feierlichen Ueberreichung der neuen Fahne
an. Bon erhabener Estrade kündeten dortselbst drei
mit Schärpen in je einer der Corpsfarben ge
schmückte Damen, deren mittelste die neue Fahne
hielt, den Sinn und Ruhm der Corpsfarbcn in ge
bundener Rede. Vereint übergaben die holden Spen
derinnen alsdann die Fahne den drei Chargirten,
deren erster in kurzen zündenden Worten den Dank
des Corps für die prachtvolle Gabe aussprach. Fest
gesang, zum Zweck gedichtet, beschloß die würdige
Feier. Mit Beginn der Dämmerung lockte ein reich
haltiges Feuerwerk Jung und Alt in den Garten.
In leuchtenden Flammen erstrahlte der Zirkel des
Corps weithin sichtbar in das Lahnthal. Der Gar
ten selbst war mit einer Menge farbiger Flümmchen
erleuchtet und gewährte einen prachtvollen Anblick.
Als die letzten bengalischen Flammen erloschen,
trat der Tanz in sein Recht. Bis zur späten
Nachtzeit währte das Vergnügen, trotzdem es galt,
am Montag in früher Morgenstunde wieder mit
frischen Kräften zur sogenannten „Fuchschokolade"
sich auf dem Marktplatz einzufinden. A. Mr.
(Schluß folgt.)
Aus alter und neuer Zeit.
Eine seltsame Diebeshöhle. Als der be
kannte hessische Maler Professor Friedrich M ü l l e r,
der am 8. Februar d. I. zu Kassel gestorben ist,
1632 von seinem zweiten italienischen Aufenthalt in
die Heimath zurückreiste, mußte er in einem italienischen
Städtchen für einige Stunden Rast machen, damit
die Pferde des Miethwagens gefüttert würden. Aus
langer Weile ergriff er im Wirthshaus eine auf dem
Tisch liegende italienische Zeitung und blätterte in
derselben ziemlich theilnahmslos, bis ihm in einem
Artikel der Name Hersfeld in die Augen fiel.
Plötzlich von Neugier erfaßt, wendete er seine volle
Aufmerksamkeit dem Artikel zu und las nun folgende
Erzählung: „In Deutschland kommen doch bisweilen
wunderbare Dinge vor. Ein Zeugniß dafür bietet
die folgende Begebenheit, welche sich in der deutschen
Stadt Heröfeld, die im Land des Kurfürsten von
Hessen gelegen ist, kürzlich zugetragen hat. Im letzten
Herbst klagten viele Einwohner jener Stadt über freche
Garten-Diebstähle, indem ihnen Blumen und Früchte
geraubt, Gartenhäuser erbrochen und ausgeplündert
würden. Die Polizei gab sich große Mühe, die Thäter
zu entdecken, und es gelang ihr auch zwei junge
Bursche ausfindig zu machen, welche in hohem Grad
verdächtig waren, jene Diebstähle ausgeführt zu haben.
Sie wurden also festgenommen und in einen Thurm
gesperrt, welcher in einem abgelegenen Theil der
Stadt in der Nähe einer halbzerstörten Kirche steht.
Doch ein Geständniß war von den beiden nicht zu
erhalten; vielmehr zog sich die Untersuchung bei dem
Mangel von unwiderleglichen Beweisen ziemlich in
die Länge.
Großes Erstaunen aber erregte es, daß trotz der Ver
haftung der beiden Strolche die Garten-Diebstähle
nicht nur fortdauerten, sondern auch Einbrüche in
Häuser innerhalb der Stadt vorkamen. Die Polizei
gab sich wiederum die größte Mühe, aber ihre Be
mühungen blieben diesmal ganz erfolglos. Nirgends
war eine Spur der Diebe oder des gestohlenen Gutes
zu finden. Die Sache schien nicht mit rechten Dingen
zuzugehen. Ja Manche waren geneigt, an Hexerei
zu glauben. Da meldete eines Morgens der Gefangen
wärter dem Untersuchungsrichter, er habe eben bei
einem der Gefangnen eine Tabaksdose gesehen, die,
wie er mit Bestimmtheit versichern könne, vor wenigen
Tagen aus dem Gartenhaus seines Schwagers ge
stohlen worden sei. Diese Mittheilung veranlaßte
den Richter, eine genaue Untersuchung nicht blos des
Gefängnißthurms, sondern auch der anstoßenden halb
verfallenen Kirche vorzunehmen. Da fand sich denn
theils im Gefängniß unter den Dielen des Fußbodens,
noch mehr aber in einem Winkel der Kirche eine
solche Menge gestohlenen Gutes, daß es für die beiden
Strolche zur Unmöglichkeit wurde noch länger zu
leugnen. Sie erzählten nun ganz offenherzig, daß
sie in ihrem Thurm ein ganz vergnügtes Leben ge
führt hätten. Für Wohnung Speise und Trank hätten sie
nicht zu sorgen brauchen, hätten den Tag über behaglich
geruht, auch viel geschlafen, und wären bei Nacht,
sofern der Mond nicht zu hell geschienen hätte, nach
ihren Behagen im Freien umhergeschlendert. Sie
hätten die Eisenstangen vor ihrem Fenster so zu
biegen gewußt, daß sie ohne Schwierigkeit aus- und
einsteigen konnten, und dieselben dann jedesmal wieder
in die frühere Stellung gebracht. Vor Mitternacht
hätten sie in der Regel die Gärten heimgesucht, zu
welchen der Weg über eine niedrige Stelle der Stadtmauer
nicht schwer gewesen wäre. Nach Mitternacht hätten
sie öfter einsam liegenden Häusern der Stadt einen