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schiedene Umstände, Zugverspätung u. s. w. bereits
weitvorgeschrittene Zeit allzu reichlich ausgefallenen
Mittagsmahls wurde der Berg zur Besichtigung des
Schlosses erstiegen, und hier fanden Alle durch die
hier sich bietende, prachtvolle Aussicht in die wunder
bar schöne Gegend mit ihren Waldbergen reichliche
Entschädigung für die nicht geringe Mühe des Auf-
steigens. Da unter den obwaltenden Umständen hier
die Zeit zur Rückfahrt mit der Eisenbahn sehr bald
gekommen war, so konnte leider zur Besichtigung des
von Landgraf Otto, dem Sohne des Landgraf Heinrich I.
an dieser Stelle erbauten (Schmincke, Mon. Hass. II.
439) und mit einer starken Umfangsmauer umgeben
gewesenen Schlosses, von dessen frühester Zeit der
Hauptthurm noch erhalten ist, nur kurze Zeit verwendet
werden. Aus diesem Grunde war auch Herr Heldmann,
Pfarrer in dem benachbarten Michelbach genöthigt,
seinen schätzenswerthen Vortrag über die Bedeu
tung Biedenkopfs und dessen Geschichte, sowie der
Besitzer des Schlosses, von welchen auch Landau im
3. Band seiner Ritterburgen handelt, zum Bedauern
der hier Anwesenden abzukürzen. Gegen 9 Uhr Abends
traf man wieder in Marburg ein, wo sich alsdann
in der Bahnhofsrestauration die von auswärts,
zumeist aus Kassel, gekommenen Festtheilnehmer vor
ihrer Rückreise in die Hcimath, nach Einnahme
eines Abschiedstrunks von den Marburger Festgenossen
verabschiedeten.
W. A.-L.
Dnß fünfzigjährige Stiftungsfest des Corps
Hnsfo-Nasfovia zu Marburg.
Bei der großen Anzahl von Angehörigen und Freun
den, welche das Corps H a s s o - N a s s o v i a in unserer
engern Heimath Hessen besitzt, dürfte eine Schilderung der
Festlichkeiten, mit welchen dasselbe sein fünfzigjähriges
Bestehen in den Tagen des 13. bis 17. Juli 1889
beging, nicht ohne Interesse für einen Theil der Leser
des „Hessenlandes" sein. —
Als am 15. Juli 1839 elf Studenten der alma
Philippina, unter ihnen die nachherigen Ehren
mitglieder des Corps, der praktische Arzt Emil
Haupt, verstorben in Bad Nauheim, der Geheime
Hofrath und ordentliche Professor der Physiologie
Karl Ludwig in Leipzig und der Sanitätsrath
Dr. med. Philipp Holzapfel in Oldendorf,
zusammentraten, um ein neues Corps, die Hasso-
Nassovia, zu gründen, ahnten sie wohl kaum, daß ihre
Schöpfung einen so blühenden Bestand erhalten, daß
im Lauf eines halben Jahrhunderts 5uO Marburger
akademische Bürger im Schmucke der grün-weiß-blauen
Farben jenen Tag als einen festlichen begehen und
Zeit ihres Lebens betrachten würden. Manchen haben
während der fünfzig Jahre die liebgewordenen Farben
am Lorbeerkranz, welchen das Corps als letztes
Erinnerungszeichen gespendet, zur ewigen Ruhe be
gleitet. Immerhin war es eine stattliche Anzahl
Corpsangehöriger, 200 bis 300 nach oberflächlicher
Berechnung, welche dem Ruf des aktiven Corps, mit
ihm das fünfzigjährige Stiftungsfest zu feiern, Folge
leisteten.
Auf dem festlich geschmückten Bahnhof nahm das
Corps, Chargirte und Füchse in vollem Wichs, die
mit jedem Zug zahlreicher herbeiströmenden alten
Herren in Empfang. Jubelnd theils, theils in weh-
müthiger Freude begrüßten sich die gleichsemestrigen
Corpsbrüder. Manche hatten sich seit Verlassen der
Hochschule nicht wiedergesehen. Um so herzlicher
war die Begrüßung. Schnell wich der philiströse
Hut der grünen Mütze. Im Schmuck der Farben,
wieder der geliebten Hochschule angchörig, wollte
Jeder die altbekannten Straßen Marburgs betreten.
Sie glänzten im Festschmuck. Wohin das Auge
blickte, zeigten wehende Fahnen, Guirlanden, Tannen
reis den Hessen Nassauern, daß ganz Marburg die
Freude seines Corps theilte. Nicht blos die Orts
angesessenen, auch die beiden noch auf der Hochschule
bestehenden Corps Teutonia und Guestphalia, deren
Waffen so oft sich mit denen des heute feiernden
Corps gemessen, hatten durch Entfalten von Fahnen
in ihren Farben zum Festschmuck beigetragen. —
Wer Marburg seit Jahren nicht gesehen, war er
staunt über den Aufschwung, welchen die Stadt ge
nommen. Eine Menge neuerrichteter, stattlicher und
stylvoller Gebäude, theils Universitätszwecken ge
widmet, theils Privaten gehörig, erregte die Auf-
merksamkeit der einziehenden alten Herren. In dem
nach Süden zu gelegenen Theil der Stadt mit
seinen neuen breiten Straß, «anlagen wußten sich
dieselben überhaupt nicht mehr zurechtzufinden. So
hatte sich das alte traute Marburg verändert. Nicht
minder erregte freudiges Erstaunen das neue Corps
haus. Mit seinem hohen luftigen Kneipsaal, dessen
prächtige Einrichtung so sehr von der des früheren,
niedrigen, tabakgeschwängerten Kneipzimmers am
„Rothen Graben" absticht, mit seinen Veranden,
von denen man eine entzückende Aussicht in das
Lahnthal genießt, den kleineren, lauschigen Kneip-
räumen und dem großen schattigen Garten, mochte
das neue Besitzthnm in manchem alten Herrn den
sehnsüchtigen Gedanken wachrufen: „Könntest Du
noch einmal aktiv sein, noch einmal als junger
Student die grün-weiß-blauen Farben tragen!" —
Sonnabends Abends 8 Uhr vereinigte die Em
pfangskneipe alte Herren und Aktive im eigenen
Heim, um das Fest in altgewohnter Weise einzu
leiten. Der Kneipsaal bot ein farbenprächtiges Bild.
Selbstverständlich halten die Kartell- und befreun
deten Corps nicht verabsäumt, ihre Vertreter zur
Jubelfeier zu senden.
Da ein großer Theil der alten Herren den Wunsch
geäußert hatte, das seltene Fest gemeinsam mit ihren
Familienangehörigen zu feiern, so war der folgende