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Der Tod hat eine Lücke gerissen; in weiten
Kreisen wird man im Hessenlande schmerzlich
den Verlust des trefflichen Mannes empfinden,
der am vergangenen Freitag Nachmittag in
seiner Heimathsstadt Gudensberg zur letzten Ruhe
bestattet wurde. Ich glaube sagen zu dürfen:
Alle, die so zahlreich herbeigekommen waren,
um Herrn Christian Nöll die letzte Ehre
zu erweisen, haben gefühlt, daß der Tod dieses
Mannes ein Ereigniß war, dessen Bedeutung
die Grenzen der Familie weit überschritt; den
meisten aber ging der Verlust wirklich tief zu
Herzen. Das machte das echt Menschliche, was
in der Persönlichkeit, in dem Charakter des
Mannes lag, der, wie selten ein Anderer, das
Vertrauen seiner Mitbürger ein Menschenalter
hindurch in vollem Maaße genossen hat.
Christian Nöll war am 19. Dezember 1826
in Gudensberg geboren; obgleich der jüngste
Sohn, erbte er doch, da die Brüder, zum Theil
in reiferem Alter, vor ihm starben, das väter
liche Gut, das er im Lause der Jahre wesent
lich verbesserte und vermehrte. Aber das Feld,
auf dem er hauptsächlich gewirkt hat, war ein
anderes. Nicht nur hat er seit Langem in dem
Rathe seiner Vaterstadt gesessen; im Jahre 1863
wurde er zuerst in den kurhessischen Landtag
gewühlt, dem er bis zum Jahre 1866 angehörte.
Vom Jahre 1868 an war er sodann dauernd
Mitglied des hessischen Kommunallandtages und
des Landesausschusses. Im Herbst des letzt-
vergangenen Jahres wurde er vom Wahlkreis
Melsungen-Fritzlar als Vertreter in das preußi
sche Abgeordnetenhaus gesandt, in welchem er
sich der konservativen Partei anschloß. Aber
das jäh auftretende Herzleiden, das sich zuerst
in Berlin heftig bemerkbar machte, und dann
sein kürzlich erfolgter, früher Tod, — war er
doch noch nicht 63 Jahre alt, — ließen ihn
der ncuerrnngenen Stellung nicht lange genießen.
In Marburg, wo er Heilung suchte, schied er
am 23. Juli aus diesem Leben.
Christian Nöll hat als Mitglied des Kommnnal-
landtages und des Landesausschusses viel Gutes
gewirkt. Was an segensreichen Anstalten seit
20 Jahren in Hessen ins Leben gerufen worden
ist, hat er helfen zu Stande bringen. Dabei
war er frei von jeglicher Selbstsucht, ein makel
loser Charakter. Vor Allein aber war er ein
treuer, zuverlässiger Freund. Auf sein Wort
konnte man bauen, und wo er helfen konnte,
war es ihm eine wirkliche Freude, ein Herzens
bedürfniß, dies zu thun; den Dank aber suchte
er stets von sich abzuwehren. Er hat den Ein
fluß, den ihm seine Stellung in weiten Kreisen
sicherte, nur in gutem Sinne verwerthet: das
zeigt die allgemeine Theilnahme, die ihm folgt.
Aber eben dieses ächt Menschliche, das — wie
ich oben schon sagte, — in seinem Charakter
lag, das sich in allen seinen Reden kundgab,
war es, was ihm hinwiederum das Vertrauen
seiner Mitbürger sicherte. Er war, was der Dichter
eine Persönlichkeit nennt; d. h. er war ein in
sich abgeschlossener, ursprünglicher Charakter, dem
nichts Fremdes anklebte; wenn er sprach, leuch
teten seine blauen Angen, die Muskeln des
Gesichtes waren in lebhafter Bewegung, und
Niemand, der mit ihm zusammen kam, konnte
sich dem Eindruck seiner Worte entziehen. In
allen Verhältnissen, in die er cingriff, mußte
mit ihm gerechnet werden.
Mir selbst wie meiner Familie war er ein
treuer Freund und ist eines liebevollen Andenkens
sicher!
Kugo jSrUHlUT.
Me schmollt.
Novrllelle von M. Friedrich stein.
(Fortsetzung.)
„Es scheint so", erwiderte der Kassierer ge
zwungen lächelnd.
„Nun aber Scherz bei Seite; mache nicht so
ein Gesicht wie der betrübte Lohgerber, dem die
Felle fortgeschwommen sind, sondern vertraue
dich mir, deinem treuesten Freunde. Du weißt,
ich habe deine hübsche Frau gern, kenne aber
die Schwächen des weiblichen Geschlechtes besser
wie du, und weiß vielleicht Rath. Was hat's
denn gegeben?"
„Ach, eine ganz lächerliche Bagatelle, kaum
der Rede werth!"
Die Ueberredungskunst des hellsehenden Amts
richters löste dem mehr ideal beanlagten Freunde
die Zunge, und mit halblauter, unterdrückter
Stimme schilderte er ihm die Szene am ver-