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ebensbilöer von A^burger Wrofessoren
Von Friedrich Münscher.
Ernst Gottfried Baldinger.
Wie verkehrt und oft auch erfolglos das Ver
fahren ist, Kindern bei oder vor ihrer Geburt
ohne Rücksicht auf deren Neigung und Begabung
einen bestimmten Beruf vorzuschreiben, das be
weist unter vielen andern Beispielen auch der
im Nachfolgenden geschilderte Lebenslauf eines
Mannes, der durch ein Gelübde seiner Voreltern
schon vor seiner Geburt dem geistlichen Stand
zugewiesen war. Dieses Loos traf nämlich unsern
Ernst Baldinger, der am 18. Mai 1738
zu Großvargula, einem in der Nähe von
Langensalza gelegenen Dorf, als der älteste
Sohn des dortigen Pfarrers geboren war. Sein
Großvater, der aus dem Breisgau gebürtig das
anerzogene römisch-katholische Bekenntniß mit dem
des evangelischen Glaubens vertauscht hatte und
dann nach Thüringen gezogen war, hatte näm
lich nebst seiner Frau, ähnlich wie einst die El
tern Samuels, zum Dank für die ihnen von Gott
erwiesene Gnade die christliche Wahrheit reiner
zu erkennen, das Gelübde gethan, daß aus ihrer
Nachkommenschaft jedesmal der älteste Sohn, der
den Namen Baldinger trage, dem geistlichen
Stand gewidmet werden solle. Ihr Sohn
Johannes war dann auch Pfarrer geworden
und traf nun auch alle Anstalten, damit sein
erstgeborner Sohn ein Gleiches thue. Sobald
daher der Knabe das erforderliche Alter erreicht
hatte, um einer höheren Schule anvertraut zu
werden, sandte er ihn aus die Gymnasien zu
Gotha und Langensalza und hatte die
große Freude, daß sein Sohn stets recht be
friedigende Zeugnisse mit nach Haus brachte.
Nur in einem Stück handelte er seinem Zweck,
ohne es zu ahnen, schnurstracks entgegen. Zu
Langensalza brachte er nämlich seinen Sohn Ernst
in die Familie des Apothekers Seebach. So
kam es, daß der Knabe in der Apotheke heimisch
wurde und wenn er auch die Lehrgegenstände
des Gymnasiums nicht vernachlässigte, doch seine
Freistunden am liebsten dazu verwendete die
Arzneibüchsen und ihren Inhalt zu betrachten
sowie die Rezepte zu studiren.
Als die Zeit zum Besuch der Universität herbei
gekommen war, wanderte der junge Baldinger
dem Befehl des Vaters gehorsam nach Erfurt,
um dort sein theologisches Studium zu beginnen.
Er machte auch einen ernstlichen Anfang, aber
bald schrieb er dem Vater, es sei ihm ganz un
möglich das theologische Studium fortzusetzen.
Im Wachen und im Träumen schwebe ihm das
Bild des Arztes vor Augen, und wenn er nicht
ein solcher werden dürfe," so sei er sein Leben
lang ein unglücklicher Mensch. Wenn die Groß
eltern seine Noth und Verzweistilng sähen, so
würden sie selbst ihn des Gelübdes, welches sie
für ihn gethan, aus Mitleiden entbinden. —
Was sollte der Vater machen? So sauer es ihm
wurde, er gab dem Verlangen des Sohnes nach,
und dieser wandte sich zum Studium der Medizin.
Nun begann für ihn eine glückliche Zeit. Das
neue Studium war ihm nicht Arbeit, sondern
Genuß. In allen Briefen, die er nach Haus
schrieb, konnte er nicht genug rühmen, welche
Freude er in den Vorlesungen seiner Lehrer
empfinde, und wie er sich so ganz in seinem
Element fühle, wenn er mit an die Betten der
Kranken treten dürfe. Doch versäumte er dabei
nicht sich eine allgemeine Bildung zu erwerben.
Er hörte Vorlesungen über griechische iinb
lateinische Schriftsteller itttb lernte sogar auf bcn
Wunsch seines Vaters das Hebräische. In Folge
dieser Begeisterung für wissenschaftliche Ausbildung
besuchte er außer Erfurt noch die Universitäten
Halle und Jena und erlangte in der letztereil
1760 die Würde eines Doktors der Medizin.
Nun kehrte er mit Ehren in seine Heimath zurück,
und der Vater, obwohl der ärztliche Beruf noch
immer keine Gnade vor seinen Augen fand, hatte
doch seine herzliche Freude an dem stattlichen
und kräftigen Aussehen des Sohnes sowie au
seinem heiteren und geistig aufgeweckten Wesen.
So entwarf er denn den Plan ihm ein recht
sorgenfreies und bequemes Leben zu bereiten.
Bei der einnehmenden Persönlichkeit seines Sohnes
fiel es ihm gar nicht schwer in Erfurt ein reiches
Mädchen auszumachen, welches geneigt war dem
jungen Mann ihre Hand zu reichen. Als aber
der Vater mit diesem bereits abgekarteten Plan
herausrückte, erfuhr er eine entschiedene Ab
lehnung. Nein, erklärte der Sohn, als Geld
protz an der Seite einer Frau, die sich ihm habe
anbieten lassen, ein Schlaraffenleben zu führen
wäre ihm im Tod verhaßt. Er müsse hinaus
in die Welt, müsse für seine Wissenschaft Kennt
nisse und Erfahrungen sammeln, müsse wirken
und schaffen. Auch machte er mit diesen Vor
sätzen sogleich Ernst. Er verließ das väterliche
Haus und trat bei demjenigen Theil des preußi
schen Heeres, welcher bei Torgau im Lager
stand, als Militärarzt ein. Hier saminelte er
nicht nur einen reichen Schatz von Erfahrungen,
sondern erwarb sich auch Achtung und Vertrauen
bei Hoch und Niedrig. Die höheren Offiziere