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die sv gerne für Andere wirkte, schon seit Jahren
dies starke Bedürfniß durch physisches Unvermögen
nicht mehr befriedigen konnte. Schmerzlich er
füllt hiervon schrieb mir Frau Dr. Claus vor
etwa drei Jahren: „Ich, die nie gewöhnt war,
viel Aufsehens von mir selbst zu machen, muß
jetzt nur an meine Gesundheit denken und auch
noch Anderen Sorgen bereiten. Das drückt niich
fast noch mehr wie mein Leiden."
Für ihr aufopferndes Wirken während des
deutsch-französischen Feldzugs erhielt Frau Dr.
Claus verschiedene hohe Auszeichnungen. Der
Kaiser verlieh ihr das Verdienst-Kreuz für Frauen
und Jungfrauen, der König von Bayern das
Kvnigl. Bayerische Verdienst-Kreuz für die Jahre
1870 bis 1871, der König von Sachsen das
Königl. Sächsische Erinnerungskreuz für die Jahre
1870 und 1871. Außerdem wurde ihr die Feld
zugsmedaille für Nichtkombattanten zu Theil.
Nur einmal habe ich Frau Dr. Claus im
Schmucke ihrer sämmtlichen Orden gesehen. Es
war, als sich vor etwa acht Jahren die Tochter des
Justizraths und früheren Reichstagsabgeordneten
Dr. zur. Grimm mit einem preußischen Offizier
verheirathete. Noch sehe ich sie im Chor der
St. Elisabethkirche neben reichdekvrirten Herren
stehen und von dem zahlreich erschienenen Pu
blikum wie eine fremdartige Erscheinung ange
staunt werden.
Wie sie mir später sagte, war ihr dies sv
peinvoll, daß sie fast nahe daran war, zu be
reuen, zu Ehren der Braut, die sie sehr lieb
hatte, ihren schönsten Schmuck angelegt zu haben.
Gewiß würde das Erstaunen über eine sv reich
dekorirte Dame bei vielen Anwesenden noch viel
großer gewesen sein, wenn die reizende blonde
Braut, die damals gewiß das schönste Mädchen
in Marburg war, nicht alsbald wieder aller
Blicke auf sich gelenkt hätte.
Als ich damit begann, diese Erinnerungen
niederzuschreiben, war es hauptsächlich meine Ab-
Grutz an das Heffenland.
Vom Söller der W a r t b u r g hab' ich entzückt
— Es gingen die Augen mir über —
Die lieben hessischen Berge erblickt,
Sie schauten wie grüßend herüber.
Dort ist mein Herz, und vergeht auch die Zeit,
Die Tage sind nie zu vergessen,
Wo mir das Leben so wonnig gemait
Im schönen, im einzigen Hessen. —
Aus der Ferne und an der Sehnsucht Hand,
Von sagenuinwvbener Zinne,
Grüß ich Dich, Du mein altes Heimathland
In treuer und dankbarer Minne. —
Ernst Wolfgang Keß von Wichdorff.
sicht, nur voll der verdienstvollen Frau zu reden,
deren Andenken diese Aufzeichnungen gewidmet
sind. Meine eignen Erlebnisse sollten ganz in
den Hintergrund treten und vielleicht nur da
erwähnt werden, wo sie mit dem Wirken der
Frau Dr. Claus in innigem Zusammenhang
standen. Ich bin meinem Vorsätze nicht ganz
treu geblieben, habe mehr von meinen eignen
Erinnerungen erzählt, als ich ursprünglich wollte,
und bin nur mit Mühe der Versuchung ent
gangen, bei dieser Gelegenheit eine ausführliche
Schilderung des königlichen Reservelazareths in
Marburg und der rühmlichen Thätigkeit ver
schiedener Damen, deren Namen später einmal
genannt werden sollen, zu entwerfen. Aber wenn
ich von dem Vorgesetzten Wege hie und da ab
wich und von mir selbst mehr erzählte als von
Frau Dr. Claus, sv möge man mir dies nicht
als Eitelkeit oder Ueberschützung meiner selbst
auslegen, vielmehr bedenken, daß es mit Er
innerungen an eine wichtige Zeit unseres Lebens
eine ganz eigne Sache ist. Wer sich mit ihnen
beschäftigt und verwehten Pfaden in der Ver
gangenheit nachgeht, der steht unter einem ganz
eigenthümlichen Bann. Es geht ihm wie beut
Zauberlehrling in der Goethe'schen Ballade, er
kann die Geister nicht wieder los werden, die er
gerufen, und muß sich ihrer Herrschaft oft gegen
seinen Willen unterwerfen. Das Jahr 1870
war ein viel zu wichtiger Wendepunkt in meinem
Leben, als daß ich bei einem Rückblick nach
Jahren nicht allen damals gemachten Erfahrungen
einen höheren Werth beilegen und einen tief in
mein Dasein eingreifenden Einfluß zumessen
sollte. Und indem ich dies thue und besonders
dankbaren Herzens an all die lieben Menschen
denke, die mir damals näher getreten sind, lege
ich diese Blätter als schlichten Jmmortellenkranz
ans das Grab meiner im Januar vorigen Jahres
zur ewigen Ruhe eingegangenen Kollegin aus
großer Zeit!
Gliick.
Oft kam bis an mein Fensterlein
Das Glück gleich einem zahmen Reh —
Doch tritt zur Thür mein Fuß hinaus:
Ein wilder Sprung und dann. Ade!
Nun hab' ich wohl das Ding bedacht!
Ich bleibe still am Fensterrand.
Und fang' ich auch das Reh nicht ein,
Es nimmt doch Brod aus meiner Hand.
5li. Kelter, geb. Kellner.