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vorhanden. Nur in beit Jahrbüchern der zu
Kassel 20 Jahre lang bestandenen Universität
findet sich eine, offenbar zu Gunsten des Crocius
abgefaßte Erzählung des Vorfalls. — Sie ist
zwar sehr kurz »ttb. giebt weder den Namen des
Getödteten noch die Beweggründe zum nächtlichen
Besuch an, allein sie hat, so lange Mittheilungen
aus besseren Quellen fehlen, den Anspruch auf
Zuverlässigkeit. Hiernach war der Hergang
folgender:
In später Abendstunde des 22. Februars im
Jahr 1633 vernimmt Croeius, der noch mit
wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt war, daß
die Thür seines Hauses erbrochen wird, und daß
Jemand in das Haus eindringt. Er ergreift
daher seine Studierlampe und einen Hammer,
dessen er sich — er bekleidete nämlich damals
im ersten Jahr der am 2. Januar 1633 ztt
Kassel eröffneten Universität das Amt eines
Rektors — zum Siegeln amtlicher Schreiben be
diente, und eilt an die Hausthüre. Da erblickt
er einen vorübergehenden Nachtwächter. Diesen
ruft er an, klagt ihin, daß ein Dieb in seilt
Haus eingedrungen sei und bittet ihn, die Don
betn Eindringling erbrochene Thüre zu bewacheit.
Er selbst geht in das Haus zurück, um bett ver
meintlichen Dieb zu ertappen. Kaum ist er aber
in das Haus zurückgekehrt, so hört er bett Nacht
wächter rufen, er sei nicht stark geitug, es mit
dem aus dem Hause Entfliehenden aufzunehmen.
Auf diesen Ruf eilt Crocitts wieder hinaus.
In demselben Augenblick erlischt aber auch auf
der Thürschwelle die Lampe, welche er in der
Hand getragen, und es tritt Dunkelheit ein.
Da der Eindringling sich nicht will festnehmen
lassen, so entsteht ein Kampf, in welchem sich
Crocius seines Hammers bedient, den der Andere
ihm vergeblich zu entreißen sucht. Endlich ge
lingt es dem Unbekannten unter furchtbaren
Drohungen zu entfliehen, aber mit Zurücklassung
seines Degens, woraus zu schließen ist, daß er
diesen im Kampf entweder gebraucht hat, oder
doch hat gebrauchen wollen. — Von dem Nacht
wächter, der merkwürdiger Weise nur Zuschauer
geblieben zu sein scheint, wird in der Erzählung
ttichts weiter berichtet. Wohl aber wird zu Un-
gunsten des Unbekaitnten angemerkt, daß derselbe
in jener Nacht einen Kriegsmann zum Zwei
kampf herausgefordert und ans die Frage, wer
er sei, geantwortet habe: „ich bitt der Teufel."
Wenige Tage nachher (so fährt die Erzählung
fort) habe Sabine, geborene Heu gelin und
Gattin oder Wittwe eines Hessischeit Offiziers
Namens Moritz Hund, gegen Crocius die
Anklage erhoben, daß er iit der Nacht des 22.
Februar bei dem Kampf mit ihrem Sohn,
Christian Hund, — er diente als Cornet
bei einem Hessischen Regiment — welcher in-
mittelst gestorben war, dessen Tod herbeigeführt
habe.
Was den jungen Mann in das Haus des
Crocius geführt hat, darüber berichten die Jahr
bücher der Universität nichts. Strieder, der
Literarhistoriker Hessens, spricht aber die Ver
muthung aus, die ja ohnehin itahe liegt, daß
der Cornet mit einer Tochter des Crocius einen
Liebeshandcl unterhalten und, da er etwas an
getrunken gewesen, seiner Geliebten einen Besuch
habe abstatten wollen.
Sobald diese Umstünde in der Stadt bekannt
wurden, sprach sich die öffentliche Meinung dahin
aus, daß Crocius ohne Schuld bei dem nnglück-
lichen Vorfall sei. Ja Studenten, Professoren
und Bürger vereinigten sich zu der an deit
Landgrafen Wilhelm V. gerichteten Bitte, der
Durchlauchtige Fürst möge gestatten, daß der
über den verehrten Mann verhängte Hausarrest
aufgehoben werde. Diese Bitte wurde gewährt,
aber der Urtheilsspruch wurde nicht eher gefüllt,
als bis die Rechtsgelehrten auf 6 Universitäten
um ihr Gutachten angegangen worden waren.
Endlich als der Angeklagte durch alle sechs Gut
achten für schuldlos erklärt worden war, wurde
Crocius auch von dem peinlichen Gericht in
Kassel freigesprochen und von dem Landgrafen
durch Beschluß vom 16. Juni 1635 in alle seine
Aemter und Würden wieder eingesetzt.
Durch das eben geschilderte traurige Ereignis;
hatte Crocius weder bei den Professoren und
Studenten noch bei den Bürgern an Ansehen
und Einfluß irgend etwas eingebüßt, vielmehr
blieb seine Geltung dieselbe, wie sie früher ge
wesen war. Ein Beweis dafür war, daß man,
als Landgraf Wilhelm V. 1637 zu Leer,
einer Stadt Ostfrieslands, in den Armen seiner
Gemahlin Amalie Elisabeth gestorben war,
außer Abgeordneten der Landstände auch ihn als
Gesandten an letztere abschickte, um ihr das
Beileid der Bewohner Kassels auszudrücken und
sie zur Rückkehr in die Hauptstadt des Landes
einzuladen.
In den folgenden Jahren seines Kasseler Auf
enthalts tritt das Eigenthümliche seines Charakters
besonders hervor, indem er einerseits die gegen
die Evangelischen gerichteten Angriffe der Jesuiteit
mit Kraft und Schneidigkeit abwehrte, andererseits
in allen Fragen, wo Lutheraner und Reformirte
von einander abwichen, die größte Milde und
Verträglichkeit an den Tag legte.. Von dieser
Milde und Versöhnlichkeit besitzen wir in der
Hessischen Kirchen-Ordnung von 1657, welche
größtenteils sein Werk ist, noch heute ein schönes
Zeugniß.