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Grenadier Hopffeld, Flügelmann in einer der
kurfürstlichen Garde-Kompagnien, ein Mann von
stattlicher Größe und martialischem Aussehen,
von großer Körperkraft und voll kriegerischen
Muthes, in seinen bürgerlichen Verhältnissen
ein armer Tagelöhner und Vater einer zahlreichen
Familie, war der Nachbar meines Onkels, des
Postmeisters, der wegen seines eben so liebens
würdigen als entschiedenen Charakters ein großes
Ansehen in der Stadt genoß. Bei seinem Nach
bar Hopffeld wurde aber diese Hochachtung durch
Gründe militärischer Disziplin wie bürgerlicher
Nahrung noch gesteigert, — denn mein Onkel
war Lieutenant in der Miliz gewesen und ließ
sein Klafterholz durch seinen Nachbar sägen und
spalten.
Hopffeld, um seinen thatenlustigen Kameraden
Beschäftigung zu geben und sie zu Unterneh
mungen größerer Art vorzubereiten, hatte einen
nächtlichen Ueberfall des nicht weit entfernten
reichen Stiftes Kauffungen beschlossen, um die
Kaffengelder dem Feinde zu entziehen. Aber
die Ausführung scheiterte, indem der Marschall
Mortier ihm zuvorgekommen und das Stift
stark hatte besetzen lassen. Hopffeld machte anderen
Morgens meinem Onkel Mittheilung von dem be
absichtigten Unternehmen und dessen ungünstigem
Erfolg, wobei er sehr niedergeschlagen war und mit
fast wehmüthiger Stimme sagte: „Das Stückchen
Brot haben diese Hunde von Franzosen auch
wieder meinen Kindern vor dem Munde weg
gerissen." Mein Onkel schenkte ihm zur Beruhigung
zwei Weißpfennige, die er dankbar annahm.
Hopffeld ging nach Hause, puderte Kopf und
Locken, putzte Knöpfe und Seitengewehr, die von
der nächtlichen Expedition angelaufen waren und
ging vor die Stadt nach der Erbsmühle, um
dort in einem Glas Nordhäuser seinen Schmerz
zu begraben. Er mochte etwa eine Stunde fort
sein, als sich in der Stadt das Geschrei erhob:
„Der Hopsfeld hat zwei Franzosen gefangen."
Die ganze Bürgerschaft, Weiber und Kinder
stürzten aus den Häusern, um die Gefangenen
zu sehen. Ich war nicht der letzte. Gemessenen
Schrittes sahen wir unseren Grenadier seinen
Triumphzug durch die Hauptstraße halten. Vor ihm
gingen zwei französische Chasseurs — cs waren die
ersten Franzosen, die wir sahen. Die Pferde der ent
waffneten Reiter, deren Säbel am Sattel befestigt
waren, führte Hopffcld am Zügel. Ein wildes
Geschrei umtobte die Gefangenen. „Hängt sie
auf! Schlagt sic todt!" schrie das Volk von
allen Seiten. Am ärgsten schrie ein Schneider,
der früher in Lyon gearbeitet hatte, deshalb als
Franzosenfreund galt lind diese Gelegenheit be
nutzen wollte, einen solchen Verdacht von sich
abzuwälzen. Unser Grenadier aber achtete nicht
dieser Schneiderseelen und ihres Geschreis, forderte
mit gebieterischer Stimme Platz für sich und
seine Gefangenen, führte sie zu meinem Onkel
und erstattete seinen Bericht: „Ich trinke in der
Erbsmühle mein Schnäpschen, Herr Lieutenant,
und denke nichts Arges; da sehe ich durchs
Fenster vom Schiefcrberge herab zwei Reiter
kommen. Ich betrachte mir die Burschen genauer
und erkenne Franzosen. Ich stelle inich im
Querenberg auf, ihnen beit Weg abzuschneiden.
Die beiden Chasseurs ritten nachlässig ihre
Straße, ohne aufgenommene Hieb- oder Schuß
waffe. Ich stand hinter einem Baume, da wo
die Straße sich biegt, und hatte mein Seitengewehr
in der Faust — indem kamen sie um die Ecke.
Ich springe vor, schwinge den Säbel und schreie:
Halt! — Abgesessen! — Die Kerle, nichts ver
muthend , sind wie vom Donner gerührt. Ich
ließ ihnen nicht Zeit sich zu besinnen, schreie
nochmals: Abgesessen! und reiße dabei den Einen
aus dem Sattel, daß er an der Erde lag. Das
hatte der Andere verstanden, er schrie: Pardon!
Pardon! und sprang vom Pferde. Ich nahm
ihnen die Säbel ab, die Pferde an die Hand
und ließ die Gefangenen vor mir hergehen. Ich
wollte nun fragen, Herr Lieutenant, sollen wir
die Kerle todt schlagen?"
Die beiden Franzosen, die begreifen mochten,
daß ihr Schicksal von dem Ausspruch meines
Onkels abhing, warfen sich ihm zu Füßen. Jetzt
nahm der Onkel seine volle militärische Haltung
an und mit fester Stimme, wie cs dem Befehls
haber geziemt, gab er seine Entscheidung. „Kriegs
gefangene werden nicht todtgeschlagen. Was die
Gefangenen an Geld und Gcldcswerth bei sich
haben, gehört dem, der sic gefangen genommen
hat, ebenso die Waffen; sie behalten ihre Uniformen
und ihr Gepäck und werden mit ihren Pferden
ins hessische Hauptquartier »ach Eschwege gebracht."
„Wie Sie befehlen, Herr Lieutenant," sagte
der Grenadier, ließ sich von einem der Chasseurs
dessen Taschenuhr und von beiden das wenige
baare Geld, welches sie hatten, geben, nahm die
Säbel, Karabiner, Pistolen und Munition an
sich, ordnete aus seinen Kameraden ein militärisches
Kommando, welches sich mit ihm und den Ge
fangenen auf einen Wagen setzte, und so fuhren
sie nach Eschwege
Es blieb allerdings schwer zu erklären, wie
zwei wvhlbcwasfnete Reiter einer kriegsgeübten
Nation, sich von einem einzigen, nur mit einem
Seitengewehr bewaffneten Infanteristen gefangen
nehmen lassen können; aber es ist eine Thatsache,
die ich erlebt habe, und-wenn gleich ich noch lein
Knabe war, so hatte ich doch von Kindheit an
eine ruhige und richtige Beobachtungsgabe, ganz
besonders aber, wenn es sich um Soldaten handelte,