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Bist du's, um deren Nacken ich die Arme
schlage?
Die gold'ne Sonne meiner Lust und Freude?
Der holde Frühling, der mir Blumen streute?
Bist du's, mein junges Glück vergang'ner Tage?
O dann vergieb dem Ungestüm der Klage,
Die jetzt, ach jetzt, sich thränenvoll erneute,
Als ob, vermengend ehemals und heute,
Berwichner Schmerz an meinem Leben nage.
Seitdem sich wieder unsre Lippen fanden,
Tagt hell und Heller mir mein ganzes Wesen
Und hält die Freude fest an tausend Banden.
Zu neuer Jugend fühl' ich mich genesen,
Als wär' ich eines Zauberschloss erstanden
Und, was ich litt, ein kurzer Traum gewesen.
<Ä. Sraücrt.
Schneeglöckchen.
Ich kenn' ein Glöckchen, klein und zart,
Das ist von ganz besond'rer Art,
Sticht hat es Klang,
Nicht hat es Sang,
Hängt auch nicht auf des Thurmes Höh',
Am Stielchen hüngt's, oft tief im Schnee.
Der Schnee, er ist sein lieber Freund,
Er lebt mit ihm so ganz vereint,
Er deckt es zu
Zur stillen Ruh',
Doch ist der Frühling nicht mehr weit,
Dann scheiden sie auf lange Zeit.
Das Glöckchen hat ein Jeder gern,
Wenn's auch nicht läutet in die Fern',
Ruft's doch im Hain
Den Frühling ein,
Und still verkündet's Wald und Flur,
Das Neuerwachen der Natur.
Da sprießen aus der Erde Schovß
Der Blümchen viele, klein und groß,
Blau, roth und weiß,
Zu Gottes Preis;
Und Alles ruft: „Schneeglöckchen da,
Der Frühling nah', der Frühling nah'!"
Gart Weber.
Aus alter und neuer Zeit.
Zwei Reiterstückchen blinder Hessen.
Ihr — ihr dort draußen in der Welt,
Die Nasen eingespannt!
Auch manchen Mann, auch manchen Held,
Im Frieden gut und stark im Feld,
Gebar das Schwabenland.
Fr. Schiller.
„Gebar das Hessenland w ! würden wir setzen, und
da draußen die, die da fortwährend an Land und
Volk und seiner Geschichte herumzunörgeln haben,
sollten das wissen. „93Unb“ nennen sie uns dort
draußen, und necken uns mit allerlei Anekdötchen, die,
abgesehen davon, daß sie nicht wahr, oft so jämmer
lich erfunden und abgeschmackt sind und eine noch
jämmerlichere Mache verrathen, daß sie den Erzählern
und noch viel weniger dem Erfinder zur Ehre ge
reichen. Daß das Attribut „ bliiib“, womit man
uns beehrt, fast ebenso alt als der Name Hessen,
daß es zurückzuführen ist auf den ungestümen Muth,
mit dem unsere Altvordern beim Angriff „alla zu!"*)
„fd)urri ! u drauf los gingen, als sähen sie des Feindes
Menge nicht, oder wollten sie nicht sehen, das zu
wissen fällt Jenen nicht ein.
So ein paar Beispiele ungestümer Angriffsweise
„blinder Hessen" will der Verfasser jetzt erzählen.
Es war während des Feldzugs in Frankreich im
Jahre 1814. — Der int Jahre 1861, wenn der
Verfasser nicht irrt, zu Kassel verstorbene, pensionirte
Obrist-Lieutenant und ehemalige Kommandeur der
hessischen dunkelblauen Husaren (2. Husaren-Regi-
ment), Mauritius, war dazumal noch ein blutjunger
Husaren-Lieutenant. Am 18. März des genannten
Jahres traf er mit 19 Mann seiner Husaren bei
Gaspariche auf ein französisches Infanterie-Korps,
das, einhundert Mann stark, in geschlossenem Carre
stand und in nicht allzu weiter Entfernung durch
Reiterei und Artillerie gedeckt war.
Weder die Ueberzahl, noch die gute Stellung
schreckten den jungen Husaren-Führer; sein Kom
mando „zur Attaque"! fiel und „alla zu" und
„schürn" sausten die wildherzigen Reiter, er an der
Spitze, in unwiderstehlichem Choc in den Feind, das
Carre ward total gesprengt, und, was nicht weichen
wollte, niedergehauen oder -geritten. Sieben Bajonet-
stiche erhielt bei diesem Bravourstückchen Mauritius,
das ihm für alle Zeit den Ruf eines kühnen Reiter-
Führers sicherte.
*) „Alla zu" war, wie „Schurri", das althessische
Hurrah, mit welchem man den Angriff begleitete. In
Niederhessen begegnet man dem Rufe noch öfters. So
erinnert sich der Verfasser, daß die Knaben in seiner
Vaterstadt Homberg beim Schneebällen den Angriff aus die
Gegenpartei mit diesem Rufe zu begleiten pflegten. Viel
leicht giebt der eine oder andere geehrte Leser des „Hessen
landes" an dieser Stelle Auskunft über die sprachliche
Abstammung des Ausruss. Der Vers.