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Leider muß ich bekennen: die Lüge von der
gewaltsamen Ergreifung ist es nicht allein, die
mit dem Namen Seume verknüpft ist; Seume
erbringt zugleich den Beweis, daß der Fluch der
bösen That fortzengend nur Böses gebären
muß, und das — ist schon nicht mehr schön
von einem deutschen Dichter.
Vorübergehend sei hier noch erwähnt, daß
Seume über seine militärische Laufbahn, um
seine eigenen Worte zu gebrauchen, „am Ende
sich nicht weiter ärgerte", „denn", fügt er hinzu:
„über den Ocean zu schwimmen war für einen
jungen Kerl einladend genug, zumal da
ich etwas Vergnügen am Seewesen zeigte."
„Einladend" also war es für Seume mit
seinem „Kitzel an militärischen Unternehmungen"
„über den Ocean zu schwimmen"! Das mögen
alle diejenigen als das Bekenntniß einer schönen
Dichterseele'hinnehmen, welche nicht müde werden,
mit Seume über die hessische „Seelenverkäuferei"
zu schreien. Dann aber sagt Seume weiter:
„So kam denn endlich die Nachricht
von Frieden uns eben gar nicht er
wünscht, denn junge thaten durstige Leute
sehen nicht gern ihrer Bahn ein Ziel
gesteckt. Man hatte mir geschmeichelt,
ich könnte Offizier werden und mir eine
Laufbahn eröffnen. Mit dem Frieden
war alles geschlossen, denn nach unserer
alten, sogenannten guten Ordnung
konnte kein Bürgerlicher weiter aspi-
riren als bis zum Feld webe l." *)
Der Eingang dieser Stelle zeugt nur für das
oben Gesagte; der Schluß dagegen enthalt wieder
eine Lüge,'deren der Sergeant Seume, als An
gehöriger der hessischen Armee in Amerika, sich
vollkommen bewußt sein mußte. Das Offizier
korps dieser Armee bestand nämlich im Jahre
1779 aus 174 adeligen Offiziren, denen nicht
weniger als 294 bürgerlicher Herkunft entgegen
standen! Wäre also Seume zum Offizier taug
lich gewesen, so wäre er eben so gut Lieutnant
geworden, als die nicht adelige» Fähndriche
Germer, Wiederhold, Wagner, Pfaff, Motz,
Schönewolf, Schmidt, Roesing, Straffer und
wandern, ob mehr persönliche Freih.it möglich ist, denn
deren ich hier (in Hessen) genieße I . . . Land und
Leute gefallen mir ausnehmend. Kein Volk war je so
schön als das hessische in seinem Heer erscheint . . . Ehe
ich nach Hessen kam, wußte ich kaum, was eine mili
tärische Nation wäre. Der Landgraf ist überaus gütig
und voll der besten Absichten; viele Ausländer sind
ungerecht in seiner Beurtheilung. Der Staat des Land
grafen blüht."
*) Mein Leben. S. 172,
viele andere. Das Fähndrich- und Lieutenant-
werden muß demnach seinen Haken gehabt haben.
Auch als er, nach seiner Rückkehr aus Amerika,
zweimal von preußischen Werbern ergriffen
wurde,*) brachte er es nur zum Deserteur,
nicht zum Offizier, und entging, wie Wagener's
Lexikon (XIX. S. 100) erzählt, nur auf vieles
Fürbitten der „Kricgsrechtlichen Bestrafung" in
Preußen.
Füge ich nun, wegen der in Seume angeblich
„unterdrückten Freiheit", noch hinzu: daß er im
Dienste der Kaiserin Katharina II. „alle wichtigen
Papiere" ausarbeitete, welche der Theilung Polens
vorangingen,**) sowie ferner, daß er endlich
unter dem General Jngolströin russischer
Lieutenant wurde und gegen die Freiheit der
Polen focht, ohne es jedoch auch dort weiter
zu bringen:***) so ist es für jeden, der lesen kann
nur gar zu verständlich, daß und warum er
gerade für seinen ehemaligen h e s s i ch e n „Kitzel
nach militärischen Unternehmungen" in seiner
zweifellos erst in späterer Zeit geschriebenen
Selbstbiographie zu Lügen, Verlüumdungen und
Verdrehungen greifen mußte.
Als ich im Jahre 1879 in Teplitz am Grabe
Seume's stand, schrieb ich in mein Notizbuch
das Distichon:
An Seume's Grab.
Ganz unabhängig im Denken und Thun, warst Du
einmal cs nicht mehr:
Als Du geschildert uns hast, wie Dir's in Hessen
erging.
Du nur allein haft erfunden die Mär von verkauften
Soldaten,
Und was der Dichter einst schrieb, dichteten Schreiber
dann nach. —
und wahrlich, anders ist es nicht: der Eine log
und hundert Andere schreiben ihm die Lügen
gedankenlos nach! Ich meine aber, es sei eine
Aufgabe des hessischen Geschichts-Ver
eins, wo immer er diesem Lügengewebe
begegnet, auf Berichtigung zu dringen,
denn es ist und bleibt eine Schmach für die
deutsche Geschichtsschreibung, wenn geschichtliche
Vorgänge begeifert, geschmäht oder tendentiös
entstellt werden, die nun einmal rechtlich, politisch
und moralisch unantastbar sind.
*) Siehe hierüber Clodius in . der Fortsetzung der
Biographie S. 1^9, namentlich S. IS*, wo Seume in der
hessischen Uniform von preußischen Werbern festgehalten
wurde.
**) Daselbst S. 201.
***) Daselbst.