371
sei, beschlossen sie, die Verlobung aufzuheben.
Die Mutter schrieb darüber an eine Freundin:
„Wir haben diesen Schritt nur mit schwerem
Herzen und aus der Ueberzeugung gethan, den
jungen Mann aus der weichlich poetischen Stim-
mung, in die ihn diese Liebe versetzte, heraus
zureißen und sich selbst wiederzugeben. Er war
auch offenbar durch die Liebe in eine schiefe
Stellung mit seiner politischen Ueberzeugung ge
rathen und hat er sich untergeordnet, um nicht
die Aussicht zu verlieren, Henriette heimführen
zu können."
Henriette schrieb ihrem Geliebten noch einen
wehmüthigen Abschicdsbrief, indem sie ihm er
klärte, daß sie nach langem Kampfe sich mit dem
Entschluß ihrer Eltern einverstanden erklärt habe,
nicht, weil sie ihn nicht mehr liebe, oder an
seiner Liebe verzweifle, sondern zu seinem Besten,
er müsse frei sein und ohne kleinliche Rücksichten
auf seine Versorgung; sein Geist fliege zu hoch
für Akten und Gemüthlichkeit in einem beschei
denen Leben, sie würde es nicht ertragen können,
ihn an den Felsen gefesselt zu sehen, der gött
liche Funke werde ihn Alles überwinden lassen.
„Wenn ich Dein Vertrauen nicht als Braut er
ringen konnte, so gelingt das vielleicht der
Freundschaft, und diese biete ich Dir."
Koch antwortete:
Dein Brief ist wahrer Himmelsthau für niich
gewesen, in Deiner ganzen Handlungsweise er
kenne ich meine Henriette. Habe Dank, Deine
Freundschaft nehme ich an, an ihr hoffe ich,
Deine Liebe wieder zu entzünden. Ohne
Dich ist für mich kein Glück in der Welt denk
bar. Unbeschreiblich ist der Zustand, in dem ich
in den letzten Monaten vegeurte. Ich könnte
Dir merkwürdige Beispiele von der Kühnheit
erzählen, mit welcher man Lügen über mich ver
breitet. Wenn ich es unterlasse, so geschieht es,
weil ich gelernt habe, solche Derlüumdungen zu
würdigen und den Grundsatz befolge, mich nie,
selbst auch meinem Vater gegenüber, zu ver
theidigen und zu rechtfertigen.
Ein bald darauf an Koch gerichteter Brief
Henriettens kam mit dein Bemerk zurück „Nicht
aufzufinden". Eine Freundin, welche sie
um Auskunft gebeten, schrieb ihr nach einiger
Zeit „Du weißt also noch nicht, daß er seit 14
Tagen heimlich fortgegangen ist. Wohin er sich
gewandt, ob zu Savigny, der ihn immer gern
hatte, oder nach Griechenland oder Straßburg
oder Paris, weiß man nicht. Du kannst Dir
denken, daß über die Ursache seines schnellen
Fortgehens allerlei Gerüchte im Umlauf sind.
Das einzig Wahre ist wohl, daß er, mit seiner
Stellung und mit seinem Vater zerfallen, sich
wo anders eine Existenz gründen will."
Durch den Verlust der Geliebten hatte Koch
allen Halt in sich verloren. In seinen oben an
gegebenen Mittheilungen aus seinem Leben
schreibt er:
„Im Anfang 1834 wurde ich auf das Ober
gericht zurückgeschickt, um mich zur zweiten
Staatsprüfung vorzubereiten. Mit dem Publi
kum zerfallen, verfiel ich bald mit mir selbst
und begann ein ungebundenes Leben, das mich
in Schulden und Verwirrung stürzte und im
December 1834 zu dem Entschluß brachte, das
Vaterland heimlich und ohne bestimmte Aussicht
zu verlassen. Ich wendete mich nach Straßburg.
Verschiedene Pläne, hier meine Existenz zu
gründen, mißglückten hier ebenso, wie in Paris.
Schon nach einigen Monaten bestimmte mich
der gänzliche Mangel an Subsistenzmitteln in die
französische Armee einzutreten. Man sandte die
Freiwilligen über Toulon nach Algier in die
Fremdenlegion."
Franz Dingelstedt schrieb bald nachher in
Lewalds Zeitschrift, „Europa" in einem Artike
über Kassel:
„Einen Dichter hatte Hessen wie aus Versehen
geboren, einen Jüngling, der die frühlingsklaren
Blicke auch vor neun Uhr aufschlagen konnte —
der hieß Ernst Koch und war eigentlich ein
Jurist. Aber eben, weil ihm die Sterne am
Himmel lieber waren, als die blanken Knöpfe
an seiner Referendarsuniform, die grüne Wiese
lieber, als die Decke des Sessionstisches, darum
konnte er es in Kassel nicht aushalten und floh,
wie ihn die Schwingen gewachsen. Hier ver
stand man ihn nicht, man legte den kleinbürger
lichsten Maßstab an die strebende Seele. Friede
mit ihm auf seinem dunkeln Wege und eine
heitere Stunde auf sein schönes Herz! Er war
ein echter Dichter und von der ganzen hessischen
Poetengencration bei weitem der begabteste."
Koch theilte das traurige Schicksal der Fremden
legion, erst in Algier und seit dem Sommer
1835 in Spanien, wohin sie als Hülfstruppe
der Königin Christine gegen die Karlisten ge
sendet war. Bis zu ihrer im Jahre 1837 er
folgten ehrenvollen Entlassung war der Bestand
der Legion durch Kugeln, Krankheiten und
Strapatzen von 7000 auf 318 Mann herab-
gesunkcn.
Der Wunsch Dingelstedts war nicht in Er
füllung gegangen, Friede hatte Koch auf seinem
dunkeln Wege nicht gefunden und eine heitere
Stunde war seinem schönen Herzen nicht be
schicken gewesen. In seiner Erzählung „Aus
dem Leben eines bösen Jungen" schildert er
seine Leiden:
„Ich habe zwei Jahre in unbeschreiblichem
Elend gelebt und den Hund um den animalischen