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folgte, in der Ferne zwischen den, die Landstraße
markirenden Obstbaumreihen ein in scharfem
Trabe daher eilendes Sechsgespann deutlich wahr
nehmen konnte.
In diesem Augenblicke richtete sich im Schatten
eines der neben der Landstraße stehenden Apfel
bäume ein Mensch auf, der sich durch sein Aeußeres
auffällig von seiner Umgebung unterschied. Er
war von einer riesigen Höhe, über sechs Fuß
groß, ein Dreißiger mit dem bekannten Garde
maaße. Er trug einen neuen blaulinnenen Kittel,
dessen unterer Saum die Gegend der Kniee kaum
erreichte. Die laugen Unter- und Oberschenkel
staken in weißen, enganliegenden, wildledernen
Hosen, die aus den blank gewichsten Schuhen heraus
gewachsen zu sein schienen. Diese Hosen waren
von dem Gürtel bis zu den Fersen an den aus
wendigen Längsnähten, rechts wie links, statt
eines Passepoils mit Reihen blanker zweipfennig
großer Messingknöpfe, die je ungefähr einen
halben Zoll von einander abstanden, verziert.
Heute waren diese Knöpfe so geputzt, daß sie in
der Sonne blitzten, als wären sie eben unter der
Stanze des Fabrikanten hervorgekommen. Ein
rothgeblümtes, baumwollenes Kattunhalstuch
schlang sich unter dem weißen Hemdkragen um
den Hals und hing in seinen beiden Zipfeln
von dem vorn geschlungenen Knoten lang auf
die Brust hernieder. Eine rothgestreifte Soldaten
mütze mit kleinem Glanzlederschirm, unter der
das blonde Haupthaar nur zweifingerbreit in
der Gegend der Schläfe nach vorn gestrichen her
vorsah, vollendete schließlich den Anzug. Das
wesentlichste an der ganzen Erscheinung aber war
der prächtige, in's röthliche spielende Schnurr
und Backenbart, deren untere Enden zusammen
liefen und am heutigen Morgen von ihrem Be
sitzer zu mächtigen Spitzen zusammengezwirbelt
waren. Diese Spitzen waren von einer Länge,
daß man sie ohne alle Mühe unter dem Hinter
kopfe zu Schluppen hätte binden können. Ueber
dieser üppigen Gesichtszierde lagerte, wie eine
überreife Riesenhimbeere, eine kolbige Nasenspitze
und ließ mit dem thalergroßen Knpferanflug,
der über der bärtigen Umwallung in der Gegend
der Backenknochen sichtbar war, darauf schließen,
daß klares Brunnenwasser keineswegs das Lieblings
getränk des Mannes bildete.
Dieser Mensch war eine Eschweger Straßen
figur und gehörte jener Klasse der Bevölkerung
an, die man in der sonnenbeschienenen Haupt
straße der Stadt, dem sog. Stade, zu Zeiten
lungern sieht, bis jemand erscheint, sie zu Hand
langerdiensten zu dingen. —
Nachdem er sich von seinem Platze erhoben
und ebenfalls einen geschärften Blick die Krüm
mung der Landstraße entlang geworfen hatte,
klopfte er mit seinem Sacktuche die sorgfältig
gewichsten Schuhe voin Staube der Landstraße
rein, musterte mit prüfendem Blicke seinen Anzug
vom Kopfe bis zu den Füßen, und als er
gefunden hatte, daß alles an ihm in Ordnung
war, nahm er eine stramme, kerzengerade Haltung
an, die seine Gestalt noch größer erscheinen ließ.
Inzwischen näherte sich das Sechsgespann und
fuhr langsamer, als es die Menge erreichte,
welche es mit lauten Vivats begrüßte. Freund
lich dankte der hohe Herr, welcher in der Uniform
des Leibgarde-Regiments mit zwei Militärs
seiner nächsten Umgebung in dem offenen Wagen
saß, nach rechts und links. Plötzlich aber stutzte
und erbleichte er; denn der Wagen war gestellt
worden, und, wie aus dem Boden gewachsen,
stand neben dein Schlage jener baumlange Mensch
mit dem langen Barte, salutirend die zwei
ersten Finger der rechten Hand an den rothen
Streifen der alten Soldatenmütze und die Angen
so fest auf den Fürsten gerichtet, als wäre das
Kommando beim Parademarsch: „Augen rechts!"
gefallen.
Doch nur einen einzigen Augenblick brachte
das plötzliche Auftauchen des riesigen Gesellen
den Fürsten außer Fassung; iin anderen frug
er auch schon, und das gerade nicht freundlich,
wer er sei.
Der Angeredete streckte die Brust noch mehr,
als er es vorhin schon gethan hatte, heraus,
und mit einem gewissen Nachdruck, der das
Schnarren seiner Stimme, das ihr von Natur
eigenthümlich war, noch mehr hervorkehrte, als
wolle er in den Ton die verwundernde Frage
legen, kennen Königliche Hoheit mich denn nicht
mehr, kam es ihm unter dem Schnauzbart hervor:
„Peter, der große, Königliche Hoheit!"
„Peter der Große?!" gegenfragte der Fürst
und blickte zu seinen beiden Begleitern hinüber,
als wolle er sagen, der Kerl scheint aus Haina
entsprungen zu sein.
Der eine der Begleiter, welcher den Menschen
und seine Vergangenheit kannte, vermochte sich
— den Gedankengang des hohen Herrn errathend
— kaum eines Lächelns zu enthalten und be
merkte: „Der lange oder große Peter — der
Familiennamen ist mir im Augenblick nicht gegen
wärtig — vor Jahren rechter Flügelmann des
Leibgarderegiments. Seine Kameraden in der
Truppe machten scherzweise aus dem großen Peter
einen Peter, den großen, und nun scheint er
zu glauben, Königliche Hoheit müßten ihn unter
diesem Spitznamen eben so gut kennen, wie die
Leute seines Korps!"
„Mich erinnere!" sagte der Fürst, „jetzt mich
sehr wohl auch des Namens erinnere, Peter
Stechhardt." Die innere Genugthuung, daß sein