299
Von Asgard sie herniederschauen:
Der jungfräulichen Erde Auen
Im Sonnenglanz blühn strahlend schön,
Und Friede wohnt auf allen Höhn.
Wie lacht die lenzesgrüne Erd',
Noch nicht entweiht von Blut und Schwert!
Die Hohen küren drauf mit Fleiß
Als Götterthron den Erdenkreis.
Doch heischt man eh' vom Göttervater,
Daß er als weiser Weltberather
Sehr sorgsam Prüf', damit sein Thron
Werd' nur dem frömmsten Volk zum Lohn. —
Von seinem Hochsitz in die Lande
Der Starke schnelle Boten sandte,
In Mitgard auszuspähn den Gau
Als Wohnsitz statt der Himmelsau.
Und Hugin ließ sich's nicht verdrießen,
Mit spähem Fleiß dies zu erkiesen.
Er flog von Süd nach Nordens Rand,
Wo fleißig webt der Normen Hand.
„Von allen Völkern dieser Erden,
Nichts Beß'res mag gefunden werden
Als Ehattens fromme Heldenschaar! u
Mit Freuden nimmt der Mär man wahr.
Das Land, wo waldgrün stehn die Matten,
Das Land der alten, frommen Chatten
Fortan den Göttersitz nun trug
Nach Walas Lied, nach Nornenspruch.
Denn Odin selbst, der Himmels-Hohe,
Fuhr drauf in einer Waberlohe
Zum gottgeweihten Wodansberg
Und thront fortan bei Alb und Zwerg.
So sonnenäugig, göttermächtig,
Auf seinem Himmelsrosse Prächtig
Durchreitet er des Landes Mark,
Freut sich des Volkes kühn und stark.
Und Asathor, dem Göttersohne,
Wird Geismars Hain zum grünen Throne,
Die heil'ge Eiche zum Altar;
Sein Volk bringt ihm hier Opfer dar.
Von hier aus fährt er durch die Wolke;
Siegherrlich seinem treuen Volke
Erscheint er mit dem Flammenbart
Auf seiner blitzdurchfurchten Fahrt.
Wenn goldschön durch die Wolkenkammer,
Der Donnrer schwingt den Blitzeshammer,
Dann zagt in Furcht das Völkermeer;
Die Chatten schirmt Allwalters Speer.
Dort, wo sich lockt des Berges Mähne,
Der Meißner durch des Himmels Thräne
So thaufrisch prangt in zartem Grün,
Sieht man Frau Hulda bald einziehn.
Voll Götterschönheit herrscht im Teiche
Die Königin im lichten Reiche,
Mit langem, goldiggelbem Haar,
Mit Sternenäuglein hell und klar.
Wo gute Frauen sorgsam schalten,
Sieht man der Gottheit treues Walten;
Ihr Auge schirmt des Hauses Herd,
Die Frommen hält sie lieb und werth.
Dem Elend wehrt die Himmelsreine,
Kein Kummer naht dem Sonnenhaine,
Nicht Bettlers Elend, Schuld noch Streit,
Nicht Schande, Armuth, Schmerz uoch Leid.
Lang' thronen so die Welterhalter
In jenem goldnen Zeitenalter;
Ein ew'ger Lenz schmückt die Natur
Und immer grün steht Wald und Flur.
Doch als der Haß in Flammen lohte
Und Sippebruch den Gau bedrohte,
Der Götter Stern sank hin in Nacht,
Vergessen ward die alte Pracht.
Es summten ernst die Klosterglocken;
Die Äsen, darob sehr erschrocken,
Floh'n aus dem Land seit jenem Tag
Und leer steht Hain und Fliederhag.
Beim Mondenlicht im Waldesrauschen,
Dann mag der Wand'rer oft erlauschen
Wie's leise seufzt durch's Blättermeer:
Das sind die Hohen und ihr Heer!
Im schönen Land der blinden Hessen
Hat man die Jugendzeit vergessen;
Doch meldet eine alte Sag:
„Einst folgt der Auferstehungstag!“ —
Als Hessens Volk vor vielen Jahren
Den Druck der Knechtschaft mußt erfahren,
Auf stolzer Höh' geht voll von Harm
Ein Brüderpaar so freudenarm.
Auf ihrem weit entlegnen Pfade
Die weiße Jungfrau plötzlich nahte;
Sie stillt der Edlen Traurigkeit,
Entrückt sie froh des Tages Streit.
„Die Wunderblum', die himmelblaue —
Gar selten blüht sie in der Aue —
Erschließt den Hort im Bergesschrein!“
Begeistert treten sie nun ein.
Hier haust das graue Steingebilde;
Es lehrt sie drauf so freundlich milde,
Wie noch die Erde jung und schön
Und daß sie einst muß untergehn.