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Aus alter und neuer Zeit.
Urolog x« Mallensteln's Kager.
gesprochen von Franz Dingelstedt am 21. 9covbr.
1839 zu Fulda.
Zu Fulda bestand im Anfange dieses Jahrhun
derts ein treffliches Liebhabertheater, dessen selbst
Goethe rühmend gedenkt. Der Gründer desselben
war neben dem bekannten Schriftsteller Heinrich
Koenig, der geniale Hofarchitekt Professor Cle
mens Wenceslaus Coudray, nachmals
Oberbaudirektor in Weimar und Hausfreund Goethe's.
Das Fuldaer Liebhabertheater war im Jahre 1835
eingegangen und mit ihm die Gesellschaft „Leseverein".
An Stelle der letzteren hatte sich später das „Casino"
aufgethan, welchem größtentheils Offiziere und
Beamte angehörten. Von Zeit zu Zeit nahm das
selbe die theatralischen Vorstellungen wieder auf.
Ihm war auch Franz Dingelstedt nach seiner
im Herbste 1638 erfolgten Versetzung vom Kasseler
Gymnasium an die Fuldaer Gelehrtenschule bei-
getreten. Das Casino hatte damals sein Heim in
dem schönen Flügel des Domdechaneigebäudes, neben
bei bemerkt, in denselben Räumen, welche ehedem die
Gräfin Gertrud von Schaumburg, die Gemahlin des
Kurprinzen Friedrich Wilhelm, bei ihrem Aufenthalt
in Fulda (von 1830—1831) inne hatte, während
damals der Kurprinz selbst mit seiner Mutter, der
Kurfürstin Auguste, und seiner Schwester, der Prin
zessin Karoline, im Fuldaer Schlosse wohnte. Bälle
und theatralische Vorstellungen, welche das Casino
gab, wurden jedoch nicht in den Räumlichkeiten desselben,
sondern in dem Putschen Saale abgehalten. Im
Spätherbst 1839 entschied sich die Gesellschaft
„Casino" in Erkenntlichkeit für die Einladungen seitens
der Fuldaer Familien „Wallensteins Lager" für ein
größeres Publikum aufzuführen, und Franz Dingel
stedt übernahm es, den Prolog dazu zu dichten und
vorzutragen. Dieser Prolog, der u. W. niemals im
Drucke erschienen ist, wurde uns von befreundeter
Seite mitgetheilt. Den Zug der Ironie, der Dingel
stedt einmal eigen war, finden wir auch in ihm
wieder. Wir bemerken hier noch, daß die Mit
spielenden größtentheils Offiziere waren, mit denen
Dingelstedt damals viel verkehrte, und mancher der
selben wird, wenn ihm diese Blätter zu Gesicht kom
men, sich noch mit Vergnügen jener Zeit erinnern,
in welcher in Fulda ein so frisches, gemüthliches,
ungebundenes Leben herrschte. Der Prolog lautet:
Die Ihr erstaunt, statt eines Lagers Lärmen
Vier enge Wände, ziemlich ungeschickt,
Und statt zahlloser Wallensteiner Schwärmen
Ein Menschenkind im schwarzen Frack erblickt,
Verzeiht die Täuschung selbstgetäuschten Leuten
Und laßt in wenig Worten Euch bedeuten.
„Ach, ein Prolog!" — Mein Fräulein, Sie errathen!
Ja ganz und gar altmodig ein Prolog! —
Was thut's? Zu jeder Taufe braucht man Pathen,
Uüd Herolde, zu jedem Kriege doch!
Zudem hat der Prolog vielleicht die Güte,
Daß er als Vorred' uns vor Nachred' hüte.
Drum, während drinnen noch des Terzky Reiter
Den Pallasch um die tapfern Lenden schnallen,
Und viel Croaten, Schützen und so weiter
Im bunten Choas durcheinander wallen,
Viel Weibsen gar — o Greuel sonder Gleichen! —
In den Coulissen volle Humpen reichen,
Derweil vergönnt, daß ich in Aller Namen
Willkommen Euch an dieser Schwelle heiße.
Euch, unsres Fulda's Sterne, holde Damen,
Vereint in selten auserwähltem Kreise,
Und Euch, verehrte Herr'n und strenge Richter,
Mit Recht der Künstler Schrecken und der Dichter!
Dank, daß Ihr kamt! So oft war Eure Pforte
Uns aufgethan und Eurer Häuser Mitte,
Nehmt heut einmal an diesem dritten Orte
Mit uns vorlieb, ganz nach Soldatensitte,
Und mißt Ihr Manches, mög't Ihr mild Euch sagen:
Bei Junggesellen ist nichts auszuschlagen!
Daß wir uns auf den Brettern produziren,
Verehrteste, aus Hochmuth thun wir's nicht,
Wir wußten just nichts, Euch zu amüsiren,
Ich sag's Euch unversteckt in's Angesicht,
Auch dachten wir: die alten Adams-Enkel
Erhielten doch nicht blos zum Tanz die Schenkel!
Zudem, Ihr seid nicht fremd in diesen Hallen,
Schaut nur, es ist der alte Tempel wieder,
Hier standen sie, die heim'schen Mimen alle.
Dort ging derselbe Vorhang auf und nieder,
Und, wett' ich, manches Herz auf'Euren Bänken
Klopft rascher jetzt, thut's jener Zeit gedenken!
Sie ist dahin! Ich sag' es mit Bedauern,
Thalia weilt nicht mehr in unsrer Stadt,
Seit sie Terpsichore, in diesen Mauern
Allein gebietend, hier vertrieben hat!
Läßt doch die Muse selbst auf Thespis Karren,
Vergeblich diesen Winter auf sich harren.
Sie zu ersetzen, fällt uns nimmer ein,
Für Künstler geben wir uns nicht, für zünft'ge.
Nur ein Versuch soll dieser Abend sein.
Und wenn ihr wollt, ein Keim für das Zukünft'ge,
Am alten Stamm ein neu gepfropftes Auge,
Ein Reis — laßt seh'n, ob es zu wachsen tauge!
Geselligkeit! Die nie erschöpfte Lösung
Für Lob und Tadel, Lust und Mißbehagen,
Ein Feld für scharfe Zungen zur Erboßung,
Ein Ort für kecke Fäuste, zuzuschlagen!
Das Kritteln, meine Herrn, und Rezensiren,
Ist leichtes Werk, wie steht's um's Reformiren?
Soviel, daß wir es uns nicht selbst verhehlen.
Soviel an Kraft liegt brach in unsrer Mitte,