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C |T jYetm man von Mexiko mit dem sogenannten
¥|J Extra - Pullmanzug bis zur Grenze der
Vereinigten Staaten fährt, durchläuft man
ein seltsames Stück Welt! Seltsam auch für
Denjenigen, der im Süden gelebt hat. Erst seit
dem Jahre 1883 hat das großartige nord
amerikanische Unternehmen Mexiko den Staaten
nahe gebracht, denn die 700 Meilen, welche die
mexikanische Hauptstadt von der Grenze trennen,
werden in siebenzig Stunden zurückgelegt.
Die Wagen des Eisenbahnzuges sind mit dem
möglichsten Komfort ausgestattet und mit dem
kleinen Zuschlage von zehn Dollar verwandelt
sich der bequeme Sitz in ein weiches Bett, welches
mit seinen schweren Gardinen und obligaten
Brettern dasselbe in ein förmliches Kabinet um
gestaltet. Die drei Nächte vergehen auf diese
Weise leidlich und man kann nicht sagen, daß
der Preis von siebenzig Thalern für amerikanische
Verhältnisse ein zu hoher sei.
Die erste Nacht fährt der Reisende durch die
Gefilde von Queretaro, über den durch seine
Tragik geheiligten Boden, auf welchem der un
glückliche Kaiser Maximilian sein Leben ließ.
Bei heller Mondnacht sieht man deutlich den
Cero de la Campana, an dessen Fuße der General
Mirafuentes den Erzherzog Maximilian von
Oesterreich zum Gefangenen machte. Die Ebene
von Oueretaro dehnt sich melancholisch um den
glockenförmigen Hügel und die hohen, schroffen
Berge, die den Horizont umsäumen, starren
regungslos über das nächtliche Gefilde.
Der Reisende, der dieses Stück Geschichte in
Mexiko mit durchlebt und durchlitten hat, denkt
nicht weiter an Schlaf, er sitzt still und sieht, in Ge
danken der Vergangenheit versunken, die Sterne
erbleichen und langsam hinter den sanften Hügeln
von Silao die Sonne-aufgehen.
Sie breitet ihr rothes Licht über ein male
risches Thal. Flaches Land, mit den weichen
Contouren einer beinahe kahlen Gebirgskette, und
darüber gleich einem endlosen Baldachin der ewig,
blaue Himmel.
Die unabsehbare Ebene, welche über die Grenze
des Staates von Zacatecas bis zu der Haupt
stadt gleichen Namens führt, ist hier noch be
völkert, wenn man die wenigen Städte und
kleinen Jndianerdörfer in Anschlag bringen will,
deren Hütten in stundenweiter Entfernung wie
*) Wir bringen heute wieder einen Beitrag aus der
Feder unserer hochgeschätzten Mitarbeiterin Frau Keller-
Jordan, die vor einiger Zeit von einer Reise nach Mexiko
zurückgekehrt ist. Red. des „Hessenland".
Spielzeug auf der großen Fläche liegen. Die
bedeutendste Stadt in dieser glühenden Ebene ist
Acuascalientes, deren heiße Quellen von den
reichen Bewohnern der Hauptstadt vielfach zu
Bädern benutzt werden.
Je näher man der Hauptstadt Zacatecas
kommt, die durch ihre bedeutenden Gold- und
Silberminen weltbekannt ist, je eigenthümlicher
und interessanter wird das landschaftliche Ge
präge. Da steigen mitten aus der Ebene sanft
geschwellte Hügelketten auf, die hinter einander
anschwellen und sich am Horizonte zu riesiger
Höhe erheben. Alle kahl und steinern, ohne
Baum und Blüthe, als bedürfe das Gold, das
in ihren Adern schläft, keines vergänglichen
Zaubers. Indessen sinkt die glühende Sonne
tiefer und tiefer. — Die Berge erhalten Leben,
denn die Grubenarbeiten mit ihren Brücken,
Wegen, Verschlingungen werden sichtbar. Indianer
mit ihren rothen Saräpen verschwinden und
tauchen auf an dem Schlunde der Berge und
schließlich eröffnet sich dem Reisenden ein Pano
rama so seltsamer Art, wie es wohl kaum ein
zweites Mal die Tropensonne beleuchtet.
Da liegt die große, schöne Stadt Zacatecas
inmitten der malerischen Berge — weiche sanfte
Hügel und schroffe Riesenkuppeln — aber alle
belebt von dem Ameisengewühle fleißiger Menschen,
die ihren Eingeweiden die großen Reichthümer
Mexikos entlocken. Die Maschine schnauft ihre
letzten Züge aus und der Zug steht still.
Der Reisende neigt sich jetzt noch weiter zum
Wagen hinaus, sieht wie die Sonne ihre letzten
Strahlen über die noch immer glühende Land
schaft legt — und dann versinkt. Ihre Gluth
vergoldet die Kuppeln der Kirchen und breitet
ihre rothen Gewänder über das Gebirge. Dann
wird es dämmerig, der Mond erhebt sich über
den letzten Häusern der Stadt und wirft sein
phantastisches Licht über dieses Stück fremder
Welt. Die Augen des Reisenden bleiben daran
haften, bis der Zug wieder davon braust — in
den Desierto hinein und das Bild sich gleich
einem schön geträumten Traum tief in die Seele
gesenkt hat.
Wie ganz anders ist die Landschaft am an
dern Tage, wenn man früh, von der unerträg
lichen Hitze aufgescheucht, hinaus über die weite,
kahle Sierra blickt!
Heiß und trocken recken die niederen Palmen
ihre großen, weißen Blüthen zum Himmel, der
sich endlos über das dürre Meer der Wüste
breitet. Die wilden Stämme der Comanchos