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Kasseler Hofe, von Hänlein, mehr oder weniger
beitritt:
„Dem jungen Hänlein, der jetzt den Gesandt
schaftsposten seines verstorbenen Vaters bekleidete,
versicherte der Kurfürst oft und unzweifelhaft
ehrlich, daß er sich ganz an Preußen anschließen
wolle. Doch da König Friedrich Wilhelm nicht
umhin konnte, zu Gunsten seiner mißhandelten
Schwester, der Kurfürstin, und ihres jungen Sohnes
sein Fürwort einzulegen, so nahm der Streit
zwischen beiden verwandten Höfen kein Ende.
Einmal kam es zum Bruch: als der Kurfürst
seine kranke Schwester, die kranke Herzogin von
Bernburg, bei Nacht und Nebel hatte aus Bonn
entführen und nach Hanau bringen lassen. Er
behauptete, die Unglückliche sei geisteskrank; er
wiesen ist nur, daß seit jener Ent
führung die Krankheit sich unverkenn
bar zeigte.
Damals wurde Hänlein abberufen und durfte
erst nach Monaten zurückkehren, während der
Kurfürst wegen der Verletzung des preußischen
Gebietes Abbitte geleistet hatte."
Die Sache verhielt sich nach den vorhande
nen Aktenstücken in Wirklichkeit folgendermaßen:
Die älteste, im Jahre 1768 geborene Tochter
des Landgrafen Wilhelm IX., nachherigen Kur
fürsten Wilhelm I., Marie Friderike, war im
Jahre 1794 mit dem regierenden Herzog Alexis
von Anhalt-Bernburg vermählt worden. Im
Jahre 1817 erfolgte die Scheidung dieser Ehe
auf Grund der von dem Professor Geh. Rath
Stark in Jena, den kurhessischen Hofräthen
Waitz, Harnier und Heräus über den krankhaften
Geisteszustand der Herzogin erstatteten Gutachten.
Die schon früher bei ihr aufgetretenen Zustünde
geistiger Exaltation hatten sich erheblich gestei
gert, waren aber von der Art , daß bei ihrer
persönlichen Liebenswürdigkeit, geistigen Lebhaftig
keit und hervorragenden Geistesbildung bei allen
ihr nicht besonders nahestehenden Personen
Zweifel über ihren wahren geistigen Zustand
wohl entstehen konnten. Nach Rückkehr in ihr
Vaterland wurde sie unter Kuratel ihres Vaters,
des Kurfürsten Wilhelm I., gestellt und ihr das einige
Stunden südlich von Kassel gelegene Lustschloß
Wabern zum Wohnsitz angewiesen. Hier blieb
sie bis zum 7. November 1820, an welchem Tage
sie auf Anordnung ihres Vaters nach Hanau
abreiste, um in dem dortigen Schlosse ihren
Aufenthalt zu nehmen. Mit ihrer Beaufsichti-
ung und Leitung ihrer Angelegenheiten wurde
ier der Kommandant der Stadt, Generalmajor
v. Dalwigk, beauftragt, als ein Mann, wie es
in demlbezüglichen Rescript heißt, „auf welchen sich
der Kurfürst völlig verlassen könne und welcher
seinem Vertrauen in jeder Hinsicht durchaus
entsprechen werde." v. Dalwigk erhielt vom
Kurfürsten die Weisung, alle 8 Tage den Bericht
des Leibarztes über den Geisteszustand der Her
zogin einzusenden. Dessen noch vorhandene Be
richte geben Zeugniß von der rücksichtsvollen
Sorgfalt, welche er der Herzogin und deren An
gelegenheit hat zu Theil werden lassen. Diese
sorgsame Behandlung hatte bei derselben einen
Zustand größerer Ruhe eintreten lassen, so daß
Kurfürst Wilhelm II., welcher nach dem am
27. Februar 1821 erfolgten Tode seines Vaters
die Kuratel über seine Schwester übernommen
hatte, kein Bedenken trug, ihr auf ihre Bitte
zur Zerstreuung für die Dauer von 4 bis 6
Wochen einen Aufenthalt am Rhein zu gestatten.
Mitte Mai 1822 trat sie in Begleitung eines
Kammerherrn, einer Hofdame, eines Arztes und
eines Intendanten ihre Reise an, besuchte die
schönsten Punkte am Rhein und wählte dann zu
längerem Aufenthalte Bonn, wo sie das Haus
des Professors Ennemoser bezog und in der
Hoffnung, ihren Gesundheitszustand dadurch zu
bessern, sich einer magnetischen Kur desselben
anvertraute. Der Kurfürst hatte sich unter diesen
Umständen mit der Verlängerung ihres dortigen
Aufenthaltes einverstanden erklärt, bis allerhand
Gerüchte über ihr höchst auffallendes Benehmen,
namentlich bei einem Besuche des Kölner Domes,
au ihn gelangten. Zwei Schreiben vom 16. Okt.
und 3. November, in welchen er sie dringend zur
Rückkehr nach Hanau aufforderte, blieben unbe
antwortet. Als nun der preußische Hof dem
Kurfürsten den Wunsch zu erkennen gab, die
Herzogin möge Bonn wegen der Nähe von
Düsseldorf, wo ihre Tochter, die Prinzessin
Friedrich von Preußen, wohne, verlassen, und
der Kurator der Universität, Geheimer Rath
Rehfues, bei dem preußischen Ministerium bean
tragt hatte, die Abreise der Herzogin zu be
wirken, weil ihre Gegenwart zu schwer zu
steuernden Ausgelassenheiten der akademischen
Jugend Veranlassung gebe, sah sich Wilhelm II.
genöthigt, in einem Schreiben vom 12. Dezbr.
1822, den General v. Dalwigk anzuweisen, sich
alsbald nach Bonn zu begeben und seiner Schwester
einen Brief zu überreichen, in welchem ihr die
Rückkehr nach Hanau aufgegeben wurde, und ihr
dabei die in dem Schreiben dafür angegebenen
Gründe, welche sowohl Familien-, als Staats
und finanzielle Angelegenheiten beträfen, münd
lich eindringlichst vorzustellen.
Das Schreiben an v. Dalwigk lautete:
„Wir beauftragen den General v. Dalwigk
hierdurch, sich sofort nach Bonn zu begeben, um
die Rückkehr unserer vielgeliebten Schwester so
schleunig als möglich zu Stande zu bringen.
Da jedoch, der Ausführung seines Auftrags sich