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Leider aber wird der Werth des Bildes der Stifts
kirche erheblich beeinträchtigt durch ein in die linke
Ecke hineingezeichnetes Schild, auf dem folgende Worte
zu lesen sind:
„Der französische Marschall, Herzog von Broglio,
welcher am 17., 18. und 19. Februar 1761 mit
seinen Truppen die Stellung von Hersfeld gehalten
hatte und sich durch den Abmarsch (so!) der Aüiirten
genöthigt sah, dieselbe aufzugeben, ließ das herrliche
Bauwerk durch Feuer in der Nacht. vom 19. zum
20. Februar 1761 zerstören, ohne daß ein militairischer
Grund dafür vorhanden war. Die Magazine für
Heu und Früchte befanden sich an anderen Orten.
Nur Rachsucht gegen Landgraf Friedrich II., der zu
Frankreichs Gegnern hielt, und sein mißhandeltes
Land. vermag den Akt der Barbarei zu erklären."
Damit wird das, was über 100 Jahre hindurch
allgemein geglaubt und angenommen ist, gleichsam
mit einem Federstrich abgethan. Die sich allgemein
regenden Zweifel an der Richtigkeit der gemachten
Entdeckung glaubt aber der Vorsitzende des Geschichts
vereins, Herr Major a. D. von Stamford, durch
Veröffentlichung des Berichtes niederzuschlagen, welchen
der Rentmeister Hartert zu Hersfeld am 25. Februar
1761 dem Landgrafen über die Katastrophe eingesandt
hat und welcher beweisen soll, daß die Stiftskirche
kein Magazin gewesen sei (s. Hessenland,
Nr. 16. 1888, S. 250 ff.)
Sehen wir uns aber den Bericht etwas näher an,
so finden wir, daß dessen Verfasser überhaupt von
Magazinen gar nicht redet. Er zählt nur die ab
gebrannten Gebäude auf, ohne sich in irgend welcher
Art über deren Verwendung auszusprechen. Er nennt:
1) das Heumagazin, 2) des Oberamtmanns Haus,
3) die Stiftskirche, 4) den großen Fruchtboden.
Nummer 1 und 4 gibt nun Herr v. St. als
Magazine zu, wohl um der Namen willen, denn Heu
magazin und Fruchtboden waren Heumagazin und
Fruchtboden ein für allemal, und aus Harterts Be
richt geht ebensowenig hervor, daß sie Magazine waren,
als daß Nr. 2 und 3 keine gewesen seien.
Wenn also Herr v. St. sagt: „Die Stiftskirche
wie das Schloß waren nicht als Magazine benutzt,
da sonst Hartert, der doch selbst die in Häusern der
Stadt befindlichen Mehlvorräthe erwähnt, gewiß dies
nicht vergessen haben würde-, so ist dagegen zu sagen,
daß Hartert einmal überhaupt nicht von Magazinen spricht.
Gerade die Wendung aber, welche er nach Aufzählung
der abgebrannten Gebäude braucht: „Vieles Mehl, so
sie in der Stadt in Häussern und Scheuren liegen
gehabt, haben sie auf die Strassen in den Koth, in
die Canäle, Brunnen und Sümpfe ausschütten und
verderben lassen-, würde ganz zusammenhanglos er
scheinen, wenn er nicht stillschweigend die niederge
brannten Gebäude auch als Magazine hätte bezeichnen
wollen. So werden die Worte für jeden unbefangenen
Leser überhaupt erst verständlich, und in ihnen liegt
eher ein Beweis gegen als für die fragliche Be
hauptung.
Das massenhafte Vorhandensein halbverbrannter
Körner in dem Schutte der Stiftskirche, — noch in
den 50er Jahren konnte man, wie ein Augenzeuge
versichert, Hände voll auflesen, — erklärt Herr v. St.
durch das Herüberfliegen derselben, da doch bei einer
leeren, oben gedeckten Kirche nicht einzusehen ist, wie
selbst bei einem Brande die Körner so massenhaft
hätten eindringen können. Kurz, der geführte Beweis
ist kein Beweis!
Dagegen wollen wir jetzt einige unzweifelhafte
Zeugnisse dafür beibringen, baß die Hersfelder Stifts
kirche alllerdings als Magazin gedient
hat. An andrer Stelle (Kasseler Allg. Zeitung
vom 3. August d. I.) hatte ich bereits, da mir
gerade kein anderes Zeugniß zur Hand war, eines
aus dem Jahre 1789 geltend gemacht, das aber als
zu spät von Herrn v. St. verworfen wird. Gleich
wohl will ich den fraglichen Zeugen, den Rector des
Hersfelder Gymnasiums Wilhelm Wille, noch
mals reden lassen, zumal gerade die Art und Weise,
wie derselbe den Vorgang darstellt, zu charakteristisch
und anschaulich ist, als daß man dem Manne zu
trauen könne, er schreibe, — noch dazu zu einer
Zeit, wo Augenzeugen genug vorhanden waren, ihm
etwaige Irrthümer nachzuweisen, — Unrichtiges
nieder. Derselbe sagt im Programm des Gym
nasiums vom Jahre 1789, betitelt: „Nachricht
von der Stiftskirche zu Hersfeld-, folgendes:
„Ich bemerke schließlich, daß diese herrliche, sehens
würdige und berühmte Stiftskirche .... in der
Nacht vom 19. bis zum 20. Februar d. I. 1761
den Anbruch ihrer unglücklichen Zerstörung erlebte,
als nämlich durch die unvermuthete Anrückung der
alliirten Armee der französische Marschall Herzog
Broglio mit den ihm untergebenen Truppen seinen
Abzug auf Fulda zu nehmen genöthigt wurde. Auf
seinen Befehl wurden ohnerachtet der dringendsten
Bitten brennende Materialien in die Kirche ange
legt und angezündet, auch dabey ein Commando ge-
stellet, bis alles in völligem Brande gestanden —
wodurch denn nicht nur die Stiftskirche selbst, welche
zum Magazin für Heu und Stroh ge
braucht wurde, sondern auch die Wohnung des
Oberamimanns, als die Residenz der ehemaligen
Aebte nebst dem dabey liegenden Fruchtboden, worunter
ein Marstall für 50 Pferde war, ein Raub der
Flammen wurde und dadurch das kläglichste und
unauslöschlichste Denkmahl von den schrecklichen
Folgen dieses verwüstenden Krieges in Hessen stiftete,
von welchem unsere spätesten Nachkommen noch reden
werden.-
Ist dieser Zeuge trotzdem verdächtig, so hätte der
Herr Vorsitzende des Geschichtsvereins doch stutzig
werden müssen, wenn er u. A. Regnerus Engel-