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verfahren war nicht im Stande, fo viel Truppen
aufzustellen, als das kleine Hessen-Kassel bei all
gemeiner Wehrpflicht. Diese Gemeinsamkeit hatte die
Hessen während der beiden ersten Schlesischen Kriege
zu Gegnern König Friedrichs gemacht, im sieben
jährigen Kriege aber zu Verbündeten. Nicht Preußische,
sondern englische Rücksicht entschied. Für England
und damit also auch für Hessen-Kassel galt es, immer
und überall Frankreichs Macht darnieder zu halten.
Beim Abfalle der Neu-Engländer vom Mutter
lande handelte es sich um eine Zertrümmerung Groß-
britaniens. Eine Minderheit der Bevölkerung: von
zwei und einer halben Million Neu-Engländer kaum
die Hälfte, plante in Untreue nicht nur den eignen
Abfall; auch Irland, Kanada, Westindien sollten dem
Mutterlande verloren gehen. Was wäre aus Groß-
britanien geworden ohne die starke Hülfe der Hessen!
Auf neun Schlacht-und Sieges-Feldern sah der hessische
Löwe Sternenbanner und Lilienfahne vor sich zu
Staube sinken. In offenem Kampfe sind die Hessen
drüben niemals besiegt. Man muß auch nicht denken,
von 1776 bis 1783 hätten beständige Kämpfe statt
gefunden ; öfters ruhten über Jahr und Tag die
Waffen, und die Truppen übten nur Besatzungs-Dienst
wie im Frieden. Wenig bekannt ist auch, daß zahl
reiche hessische Generäle und Obristen als Ehren
bürger amerikanischer Städte in die Heimat kehrten.
Was war das Ergebnis des Krieges? Die Truppen
Washingtons waren vor den Hessen zerstäubt, wie
Spreu vor dem Winde; beim Frieden kamen die
Nordamerikaner selbst gar nicht in Betracht. Frank
reich handelte nach dem Satze: divide et impera!
Für das Zugeständnis der Unabhängigkeit der Uankee
verzichtete Frankreich auf Besitze in West- und Ost
indien ; Großbritanien blieb trotz Spaltung der angel
sächsischen Rasse mächtig. Hessische Treue und Tapfer
keit hatte ihm den Rang unter den Völkern gewahrt,
der allein es befähigte, zu napoleonischer Zeit die
Befreiung Europas zu führen.
Kermann von Pfister.
Aus Heimach und Fremde.
Kassel. Die 5 4. Jahresversammlung
d es Vereins für hessische Geschichte und
Landeskunde wurde in den beiden letzten Tagen
des Monats Juli und am 1. August zu Hersfeld
abgehalten. Trotz der Ungunst des Wetters hatte
sich eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Mitgliedern
des Vereins aus allen Theilen unseres Hessenlandes
eingefunden. Dem Berichte des Schriftführers Stern
von Kassel zufolge beträgt die Zahl der Mitglieder
gegenwärtig 1303. Die Finanzlage ist eine günstige.
Als Ort der Zusammenkunft im nächsten Jahre
wurde Marburg bestimmt. Den Festvortrag hielt
Gymnasiallehrer Dr. H affner über die „Ge
schichte der Abtei Hersfeld von den
ältesten Zeiten bis zu den Hohenstaufen";
der gediegene Vortrag fand die verdiente Anerkennung.
Am 1. August wurde der geplante Ausflug nach dem
Stoppelsberg unternommen. Die Theilnehmer ver
brachten daselbst sehr angenehme Stunden und waren
alle entzückt von der prachtvollen Aussicht. Näherer
Bericht folgt in der nächsten Nummer.
— 8. Unsere Zeit will das Gedächtniß der Männer
in der Nation erhalten sehen, denen sie für ihr
Wirken und ihre Thaten Dank schuldet. Unter diesen
nimmt Ulrich von Hutten, der fromme Ritter,
eine hohe Stelle ein. Die Stätte, an welcher dieser
merkwürdige Mensch ins Leben trat, ist für viele
Millionen Deutscher ehrwürdig, für Alle wohl be
deutsam. Wenn der gegenwärtige Besitzer derselben,
der Ruine Steckelberg unweit von Elm, Frei
herr Hugo von Stumm, im Bewußtsein der Be
deutung jener Trümmer, sie mit sehr erheblichem
Aufwande vor der gänzlichen Zerstörung durch die
Zeit zu bewahren strebt, ihre Umgebung verschönert,
den Zugang erleichtert, so muß das dankbar anerkannt
werden. Er wollte aber auch das Jahr, in welchem
seit Hutten's Geburt 4 Jahrhunderte vergangen sind,
noch besonders bezeichnen, indem er diesem ächten
„Ritter vom Geiste" ein Denkmal errichtete inmitten
des Raumes, wo seine Kindheit verfloß und wo jetzt
der Beschauer sich sagen darf, „das Höchste, was
Hutten erstrebte, es ist erreicht!" Der 5. August
war zur Feier der Grundsteinlegung angesetzt, um
2 Uhr Nachmittags begann dieselbe. Von Ramholz,
dem Hauptorte der einstmals Hutten'schen Herrschaft,
in welcher der Steckelberg gelegen ist, setzte sich der
Festzug in Bewegung, gebildet durch drei Krieger
vereine der Umgegend mit ihren Fahnen, Bewohner
der nächsten Dorfschaften, die Schulkinder mit Fahnen,
den Gesangverein, unter Vorantritt eines Musik
corps und der Familie des Bauherrn nebst den ge
ladenen Ehrengästen. Unter diesen verlieh der Ober
präsident der Provinz, Herr Graf zu Eulenburg,
durch seine Anwesenheit dem Feste besondere Be
deutung.
Nachdem Alle in den Räumen der Ruine Auf
stellung genommen hatten, begrüßte der bauleitende
Herr Landbauinspektor Wolfarth aus Gelnhausen die
Versammlung in einer die Bedeutung des Tages
erklärenden Ansprache. Es folgte der Choral „Eine
feste Burg ist unser Gott", in welchen die Festver
sammlung einstimmte.
Die hierauf folgende Festrede hielt Herr Pfarrer
Orth zu Ramholz. Hutten in seinem Wesen und
Streben zu zeigen, hatte der Redner sich vorgesetzt
und er gab ein lebendiges Bild des Mannes, welcher
mit den eigentlichen Reformatoren auf das Engste
verknüpft erscheint. Ging er doch einige Jahre früher
als Luther bereits gegen die damals gewaltigste
Macht, die Hierarchie der römisch-katholischen