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aber, Marielies, bin ich wieder ganz klar bei
Verstand. Ich weiß, daß du für deinem Vater
selig seinen kranken Schiinmel n'en Zanberkraut
auf dem Woddensberg gelangt hast. Damit 's
richtig wirken thut, mußt du den um 'nen Hand
schlag angehn, der dir zuerst in den Weg kommt.
Zufällig bin ich das gewesen."
Marielies stand wie leblos da. Es war plötzlich
wie eine Lähmung auf ihre Stimme gefallen,
so daß sie nicht aussprechen konnte, was sie
empfand. Nur mit vorwurfsvollen Blicken ver
mochte sie ihn zu fragen, ob er sie denn wirklich
so ganz und gar verkennen könne.
In seiner heftigen Erregung verstand aber
Berthold diese Frage nicht. Er hielt sie für
eine stumme Abweisung und fügte noch hinzu:
„Brauchst keine Angst zu haben, ich geh' schon und
rühr' dich ganz gewiß nicht mehr an. Eigentlich,
Marielies, sollt' ich freilich, weil du nun doch
einmal weißt, wie's in mir aussieht, den Moment
benutzen und dich nach Herzenslust abküssen. Doch
sei ohne Sorge, ich bin noch Herr über mich und thu'
dir nix. — Magst dich getrost damit brüsten, daß
du wieder einen abgespeist hast, aber sagen sollst du
nit, die Verzweiflung darüber hätt' auch alles
Ehrgefühl und alle Willenskraft in ihm erstickt. —
Und nun adjes für immer! Ich wünsche dem
Zauberkräutlein recht gute Wirkung und bitte
dich zuletzt noch, geh mir fürder aus dem Weg,
wo du nur kannst.
„Berthold, Berthold!,, klang es flehend von
den Lippen des Mädchens. Dock) er hörte nichts
mehr. Im Sturm seiner leidenschaftlichen Erregung,
achtete er auch nicht auf ihre ausgestreckten Arme
und ging, kaum seiner Sinne mächtig, eilig den
Walbpfad entlang nach den jungen Tannen zu.
Nur einmal noch an einer Windung desselben
sah er sich um.
Als er Marielies, deren Hand sich jetzt gegen
eine Buche stützte, noch immer aus der nämlichen
Stelle erblickte und die letzten Strahlen der Sonne
durchs dichte Geäste über ihr verstörtes Antlitz
gleiten sah, da entbrannte noch einmal ein kurzer
heftiger Kampf in seinem Herzen. Dennoch ließ
er sich nicht wieder hinreißen. Indem er sich
einredete, daß das, was ihn jetzt wieder zu ihr
ziehen wolle, nur verletzter Stolz und Empörung
über seine letzten kühnen Worte sei, gewann er
es über sich, schnell seinen Weg fortzusetzen.
Als ihn Marielies nicht mehr sah, wollte sie
ihm nacheilen, aber die Kniee versagten ihr.
Es war ihr mit einemmale zu Muthe, als ob eine,
unsichtbare Gewalt alle ihre Glieder in Fesseln gelegt
habe. Sie setzte sich ans einen Baumstumpf nieder
und blickte eine Zeitlang traurig vor sich hin, dann
begann sie bitterlich zu weinen. Waren es denn
schmerzliche Empfindungen, die diese Thränen von
ihrem Herzen lösten? Nein, gewiß nicht, vielmehr
ein Gefühl unaussprechlicher Wonne, das sich auf
irgend eine Art Luft verschaffen mußte. Nun blieb
ja kein Zweifel mehr darüber, daß Berthold sie
liebte und daß er der Bursche war, der dem Kräuter
bast das Gestündniß abgelegt hatte. Was nun noch
zwischen ihnen stand, das konnte leicht überwunden
werden. Es mußte alsbald entweichen wie der
Nebel in der Frühe vor der lieben Sonne.
Am Ausgang des Buchenwaldes traf Berthold
seinen alten Freund. Dieser merkte sofort an
dem verstörten Wesen des Burschen, daß es zwischen
ihm und Marielies so gekommen war, wie er
schließlich noch gefürchtet hatte. Da er aber nicht
wollte, daß für die beiden stolzen Herzen diese
Gelegenheit zur Begründung ihres Glückes wieder
ungenutzt vorübergehen sollte, erzählte er Berthold
eine Geschichte, welche diesen mit einemmale ganz
veränderte und die Handlungsweise des geliebten
Mädchens in ein ganz anderes Licht stellte. Nun
wußte er, daß sie ihm nicht alles sagen durfte,
ohne ihm zugleich zu bekennen, was sich nun ein
mal für ein Mädchen nicht schickte. — Jetzt konnte
er der glücklichste Mensch auf Erden sein und ver
lor keinen Augenblick mehr, um es auch wirklich
zu werden. Unter herzlichen Dankesworten nahm
er schnell vom Kräuterbast Abschied und lief in
fliegender Eile den Weg zurück, während der Alte
an den jungen Tannen entlang nach Hause ging.
Seelenvergnügt lächelte dieser oft darüber, daß
das Zauberkräutlein endlich doch noch helfen mußte.
Berthold hatte Marielies bald erreicht, sie saß
noch immer da, wo er sie zuletzt gesehen.
Nun aber wurden zwischen beiden nicht viele
Worte gewechselt und es gab keine langen
Auseinandersetzungen. Auf viel deutlichere Weise
machte der Bursche dem Mädchen klar, daß er
ihr eben unrecht gethan hatte und in dem ver
zweifelten Schmerzensausbruch einer vermeintlichen
bitteren Enttäuschung ganz verblendet gewesen
war. Erst als sie dann Arm in Arm heim
gingen und dem ersten berauschenden Licbcssturm
die ruhige beseligende Erkenntniß ewiger Zusammen
gehörigkeit gefolgt war, erst dann erzählte
Berthold der Geliebten, wie schlau es der
Kräuterbast angefangen hatte, um das Zanber-
krüutlein zuin einzig richtigen Freiersmann
zwischen ihnen beiden zu erwählen.
Dem Hannes blieb die junge Herrin etwas zu
lange aus. Er stellte sich in die Einfahrt, um
auf sie zu warten. Als er sie aber bei an
brechender Dämmerung mit dem Berthold Arm
in Arin die Dorfgasse herkommen sah, schlug er
die Hände über dein Kopf zusammen und rief
einer bereits ergrauten Magd freudig erregt zu:
„Annegreth, komm Se' doch geschwind! Die
alten Zeiten sind wieder da! alleweil kommt ja