197
man das Beste, was die Tischbein in der Portrait
malerei hervorbrachten, schätzte, es erblaßt neben
den Meisterwerken von Malern wie Richter,
Angeli, Lenbach und Kaulbach.
Die Natur, unentstellt durch Perrücke und
Schönpflästerchen, ist wieder in ihre Rechte ge
treten und ein frischer Hauch durchweht das
Kunstschaffen der Gegenwart.
eschichte der
äuberbanöe öe§ „alten
Von Ludwig Mohr.
Druckers".
om sieben und zwanzigsten Oktober bis zehnten
November des Jahres Eintausend achthundert
und zwölf wurden die Bewohner der weiland
Königlich Westphälischen Haupt- und Residenz
stadt Kassel durch : öffentliche Verhandlungen in
Athem gehalten, die in einem Saale des rechten
Flügels von dem alten Landgrafen-Schlosse statt
fanden, welcher bei dem großen Schloßbrande im
November Eintausend achthundert und elf stehen
geblieben war, und die mit der Verurtheilung
eines Theiles jener zahlreichen und verwegenen
Gauner- Räuber- und Vagabunden- Sippe ab
schlössen, die länger als zwei Jahrzehnte ihr Un
wesen in den Fulda- und Werra- Departements
des Königreichs, also in Niederhessen und den
angrenzenden Nachbargebieten, trieb.
Wie nachhaltig dieses Vorkommniß auf die
Gemüther der Zeitgenossen wirkte, mag ^aus dem
Umstande erhellen, daß sich die Kunde davon im
Laufe der Zeit im Munde der Bevölkerung zu
dem Märchen gestaltete, die weitläufigen Keller
gewölbe unter den Anfängen der Kattenburg
hätten einer Räuberbande zum Schlupfwinkel
gedient.
Auf Grund der Anklage-Akte des General-
Prokurators des Königs, Freiherrn von Hanstein
zu Marburg, der einschlägigen Gerichtsverhand
lungen und Mittheilungen von Zeitgenossen werden
wir versuchen, in gedrängter Kürze eine Geschichte
der verurtheilten Räubersippe und damit einen
Beitrag zu der Geschichte der gesellschaftlichen Zu
stände zu Ansang dieses Jahrhunderts zu liefern;
verwahren uns jedoch von vornherein gegen die An
nahme, als beabsichtigten wir einen Räuber-Roman
ä la Spieß, Kramer und Genossen zu schreiben.
Der Stifter jener wandernden Diebes- und
Räuber-Gesellschaft war Johannes Stelzener, ein
aus Brotterode im Schmalkaldischen gebürtiger
Papiermacher, dessen Vater aus Sachsen stammte
und dort einwanderte. Der junge Stelzener war
noch nicht zehn Jahr alt, als er den Vater durch den
Tod verlor und zählte noch nicht vierzehn, als
er das elterliche Haus verließ, weil ihn die
Mutter — die sich wieder verheirathen wollte,
und der er im Weg gewesen zu sein scheint —
mißhandelt hatte. Er ging auf Tagelohn in
eine Papier-Fabrik der Umgegend. Acht Jahre
hielt er es darin aus; dann aber bewogen ihn
eine eingetretene Theuerung und die geringen
Verdienste, diese Beschäftigung aufzugeben und
nach Frankfurt a. M. zu wandern, andere zu
suchen. Da er jedoch dort eine solche nicht fand,
die Sparpfennige auf die Neige gingen, und
die Noth an ihn herantrat, suchte er eine
Preußische Werbung auf und ward Soldat. Er
war zwei und zwanzig Jahre alt, als er in Wesel
den bunten Rock anzog. Die strenge Preußische
Mannszucht scheint jedoch dem, an ein ungebundenes
selbstständiges Leben gewöhnten Burschen auf die
Dauer nicht zugesagt zu haben; denn schon nach
zwei Jahren sehen wir ihn fahnenflüchtig
die Wetterau »agierend durchstreifen. Zu seinem
Verderben machte er auf diesen Fahrten die Be
kanntschaft einer liederlichen Dirne, der Schwester
des später zu Marburg Hingerichteten Räubers
„Stumpf-Hannes", Gertrude Keller, that sich
mit ihr zusammen und fing einen Tassen-Handel
an. Durch sie kam er mit den Mitgliedern der
Wetterauer - Räuberbande, bekannt unter dem
Namen „die Platten"*), in Fühlung. Mer
Jahre trieb er es in dieser gesegneten Gegend
und dem nahen Vogels-Gebirge, bis er eines
Tages mit seiner Begleiterin wegen eines Linnen
tuch-Diebstahls, den er in Verbindung mit dem
berüchtigten Gauner „Wilhelm Guntermann" zu
Haine ausgeführt hatte, gefänglich eingezogen
wurde und nach Kassel ausgeliefert werden sollte.
Auf dem Schube nach dort ging er jedoch mit
seinen Begleitern aus dem Gefängnisse in Hom
berg, den sogenannten „Bohlen," „auf Reisen,"
was aus der Diebessprache in das ehrliche Deutsch
übersetzt, soviel heißt, als er brach aus. Kurze
Zeit darauf tauchte er in der Umgegend von
Wetzlar auf, wo er ein neues Verhältniß mit
einer Person gleichen Gelichters wie die Keller,
„Anne-Marie Flank," einging, durch die er im
*) F. L. A. von Grolmann. Aktenmüßige Geschichte
der Vogelsberger und Wetterauer Räuberbanden. Gießen
1813, pag. 205.