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„Ja, Bast/' erklärte der Bursche. „Weil wir
allezwei in der ganzen Gegend noch keinen ent
deckt hatten, der Bcrthold hieß, waren wir zwei
auch gleich so voll Freud' über den gegenseitigen
Fund. Und der fröhliche Anfang hat guten
Fortgang gehabt. Alleweil stehen wir so mit'-
nander, als ob wir nit seit 'en paar Wochen,
sondern von Kindheit an zusammengewesen wär'n."
Nun reichte Berthold dem Alten die Hand zum
Abschied, und dieser sagte: „Unser Herrgott er
halt' dir deinen neuen Freund. Was aber das
andere betrifft, Jung, so denk: es giebt zwar für
so aut kein heilsam Kraut in der Welt, aber
es wächst über alles am End' doch Gras —
über alles! Hörst du, Berthold?"
Der Angeredete nickte, dennoch sah man ihm
an, daß er Zweifel an der Wahrheit dieses Aus
spruchs hegte. Dann eilte dem Freunde entgegen,
während der Krüuterbast langsain nach Wilden
born zuging. Am Eingang des Dorfes, wo ein
aus dem Walde kommendes Büchlein, bevor es
mit starkem Gefälle der Lahn zueilte, »och einmal
ruhig eine schmale Wiese durchzog, lag etwas
zurück von der Straße ein kleines freundliches
Häuschen. Weithin erglänzten seine weißgetünchten
Gefächcr, schimmerte das moosbewachsene Stroh
dach, ans dem die Hauswurz üppig wucherte.
Ueberall an den Thürpfosten, an den Fenster
rahmen und am Gebälke waren Haken angebracht,
an denen tu Netzen, Beuteln und kleinen Körbchen
Pflanzen zuin Trocknen hingen. Auch auf der
Wiese neben dem Häuscheit waren auf weißen
Tüchern allerlei Kräuter zum Dürren ausgebreitet.
Nur die Birke, deren Geäste wie eilt lichtgrüner
Schleier auf das hie und da bräunliche Moos
des Daches hinabhing, brauchte ihre Zweige nicht
zu Trägerit der Pflanzenbeutel herzugeben. Statt
dessen aber waren an ihrem Stamme vom ersten
Absatz des Geästes an bis hoch hinauf verschiedene
Staarkasten angebracht.
In diesem Häuschen wohnte mit seiner ver-
wittweten Tochter und sieben munteren Enkeln
Sebastian Hafter, von den Leuten der Kräuter
bast genannt. Die Bauern im ganzen Kirchspiel
schätzten ihn wegen seiner geheimen sympathetischen
Mittel und der heilsamen Tränklein, die er für
Menschen und Vieh aus selbstgesuchten Kräutern
bereitete, höher als alle Aerzte weit und breit.
Nahm man sich auch, um den Schein zu wahren
und vor Vorwürfen sicher zu sein, in den meisten
Fällen einen Arzt, so blieb aber dessenungeachtet
der Kräuterbast die letzte Zuflucht. Zu ihm ging
mau heimlich am Abend oder bei Nacht, wenn ein
vom Doktor verschriebenes Mittel nicht wirken
wollte. Wo nichts mehr half, wußte der Alte
noch fast immer einen Rath. Gab er auch nicht
regelmäßig etwas zum Einnehmen, so vergrub er
doch mit Zaubersprücheu manches in geweihter
Stuitde geholte Pflänzchen. Dies sollte die Krank
heit von den Menschen und Thieren ablenken
und auf sich ziehen. Trat dann die Genesung
ein, so glaubten die Aerzte natürlich, es sei ihr
Werk. Um keine Gerichtsgeschichten heraufzu
beschwören, ließen sie die Bauern natürlich dabei.
Unter sich aber zuckten dieselben verächtlich die
Achsel über die studirten Herren, die dem Kräuter-
bast nicht im entferntesten das Wasser reichten.
Manchmal erkannten die Aerzte der Umgegend
den verborgenen Wurm, der an ihrem guten
Rufe «tagte. Sie nahmen sich dann immer vor,
den Kräuterbast anzuzeigen, aber ein alter Kreis-
physikus ließ es nie so weit kommen.
„Laßt doch den alten armen Kerl gewähren,"
sagte er, wenn er mit seinen Kollegen allein war.
„Er hat neun Mäuler zu stopfen und thut nichts
Gefährliches. Davon habe ich mich längst über
zeugt. Legt Ihr ihm heute das Handwerk, so
kommt morgen ein anderer, der nicht seine fabel
haften botanischen Kenntnisse, doch desto mehr
Frechheit besitzt. Darum folgt meinem Rath
und laßt ihn gehen. Aus langjähriger Erfahrung
weiß ich, daß der echte Bauer ohne ein bißchen
Hokuspokus nicht leben kann."
(Fortsetzung folgt.)
Gefeit.
Siehst Du bort die Schlösser schimmern?
Hörst Du nicht die lust'gen Geigen?
„Hör' den Wind nur ferne wimmern,
Seh' nur Nebel aufwärts steigen."
Sieh', da öffnen sich die Pfortett,
Pagen uns entgegen leuchten! '
„Seh' nur Tanz der Irrwisch dorten,
Auf dem Wiesengrund, dem feuchten."
Schöne Maid in Duftgewändern,
Winkt, Dir süßen Lohn zu geben!
„Seh' nur Mondeslicht sich ändern,
Schatten nur vvrüberschweben."
Sprich, wer hat Dir Herz und Sinne
Gegen Zaubermacht gestählet?
„Trage eine reine Minne,
Die mich ganz und gar beseelet!"
W. Aennecke.