171
Ans alter und neuer Zeit.
(E in verhängnißvolles Trinkgelage.)
Kein Volk der Welt hat wohl so gewaltige Zecher
vor dem Herrn aufzuweisen, als unser liebes deut
sches Vaterland. Es gab Zeilen, in welchen das
Zechen zum dou-ton der höchsten Gesellschaftskreise
gehörte und nicht blos Kavaliere, sondern auch Edel
frauen sich der edlen Kunst des Trinkens nach Kräften
befleißigten.
Große Trinkgelage waren an den Höfen keine
Seltenheit, und wer am meisten trinken konnte war
ein angesehener Mann. Der Baron von Pöllnitz hat
uns in seinem Memorien recht anziehend geschildert,
wie es vor ungefähr 150 Jahren an den Hoftafeln
der geistlichen Fürsten zu Fulda und Würzburg, so
wie des weltlichen Kurfürsten von der Pfalz zuging.
In Fulda soll sogar nach Pöllnitz um jene Zeit ein
Prälat existirt haben, der sich rühmen konnte, 8 Maß
(16 Flaschen) Wein trinken zu dürfen, ohne daß er
die ihm obliegenden geistlichen Pflichten verabsäumt
habe.""')
Wer erinnert sich da nicht an Goethe's Sankt
Rochusfest in Bingen? Wir können es uns nicht
versagen, hier eine Stelle aus der Rede wiederzugeben,
welche Goethe den Weihbischof in dessen Fastenpredigt
gegen die Trunksucht halten läßt. Nachdem der hohe
Prälat dieses schreckliche Laster seiner Gemeinde in
den stärksten Farben dargestellt, schließt er also:
„Ihr überzeugt euch hieraus, andächtige, zur Reue
und Buße schon begnadigte Zuhörer daß derjenige
die größte Sünde begehe, welcher die herrlichen Gaben
Gottes solcherweise mißbraucht. Der Mißbrauch aber
schließt den Gebrauch nicht aus. Stehet doch ge
schrieben: Der Wein erfreut des Menschen Herz!
Daraus erhellt, daß wir, uns und andere zu erfreuen,
des Weins gar wohl genießen können und sollen.
Nun ist aber unter meinen männlichen Zuhörern
vielleicht keiner, der nicht zwei Maß Wein zu sich
nähme, ohne deshalb gerade einige Veränderung seiner
Sinne zu spüren; wer jedoch bei dem dritten und
vierten schon so arg in Vergessenheit seiner selbst ge-
räth, daß er Frau und Kinder verkennt, sie mit
Schelten, Schlägen und Fußtritten verletzt und seine
Geliebtesten als seine ärgsten Feinde behandelt, der
gehe sogleich in sich und unterlasse ein solches Ueber
maß, welches ihn mißfällig macht Gott und Menschen
und seines Gleichen verächtlich. Wer aber bei dem
Genuß von vier Maß, ja von fünfen und sechsen
noch dergestalt sich selbst gleich bleibt, daß er seinen
Nebenchristen liebevoll unter die Arme greifen mag,
dem Hauswesen vorstehen kann, ja die Befehle geistlicher
und weltlicher Obern auszurichten sich im Stande findet,
auch der genieße sein bescheiden Theil und nehme es
mit Dank dahin! Er hüte sich aber ohne besondere
Prüfung weiter zu gehen, weil hier gewöhnlich dem
schwachen Menschen ein Ziel gesetzt wird. Denn der
Fall ist äußerst selten, daß der grundgütige Gott je
mand die besondere Gnade verleiht, acht Maß trinken
zu dürfen, wie er mich, seinen Knecht, gewürdigt hat.
Da mir aber nun nicht nachgesagt werden kann, daß
ich in ungerechtem Zorn auf jemand losgefahren sei,
daß ich Hausgenossen und Anverwandte mißkannt,
oder wohl gar die mir obliegenden geistlichen Pflichten
und Geschäfte verabsäumt hätte, vielmehr ihr alle
mir das Zeugniß geben werdet, wie ich immer bereit
bin, zu Lob und Ehre Gottes, auch zu Nutz und
Vortheil meines Nächsten mich thätig finden zu lassen,
so darf ich wohl mit gutem Gewissen und mit Dank
dieser anvertrauten Gabe ruich auch fernerhin erfreuen.
„Und ihr, meine andächtigen Zuhörer, nehme ein
jeder, damit er, nach dem Willen des Gebers, von
Liebe erquickt, am Geiste erfreut werde, sein bescheiden
Theil dahin! Und auf daß ein solches geschehe, alles
Uebermaß dagegen verbannt sei, handelt sämmtlich
nach der Vorschrift des heiligen Apostels, welcher spricht:
Prüfet alles und das Beste behaltet!" —
Anders ist es heutzutage. So gern man auch
noch in allen Gesellschaftskreisen den Herren Bacchus
und Gambrinus huldigt, in arte xotutoria leisten
heute fast nur noch die Herren Studenten Rühmens
werthes. — War zu Anfang der 40er Jahre ein
norddeutscher Studiosus der Theologie in Marburg,
der Abends auf der Kneipe 40 Schoppen trank und
dreimal den Birkenmaier leerte. Lange hat er's frei
lich nicht getrieben. Nachdem er noch auf der Georgia
Augusta, in Göttingen, Proben seines eminenten Ta
lentes im Trinken abgelegt, starb er frühzeitig als
Kandidat des Predigeramtes in seiner norddeutschen
Heimath. Und was muß nicht der Herzog Tus, der
so und so vielte, im studentischen Bierstaate zu Lichten-
hain bei Jena bei festlichen Gelagen im frischen,
fröhlichen Lanzenbrechen — mit Stübchen geleistet
haben, um es zu dieser Würde zu bringen! — In
Gießen hatten zu Ende der 40er Jahre drei Musen
söhne ein „Fein Kollegium", in welchem es für jeden
Bestimmung war, 100 halbe Schoppen Wein, das
sind ‘25 Flaschen, in einem Sitze zu trinken! Kaum
glaublich, aber wahr! Die Folgen dieser Libationen,
die wöchentlich einmal auf einem besonderen Zimmer
des Gasthofs zum Einhorn stattfanden, blieben nicht
aus — —; aber alle drei einst so weinfrohen Ge
sellen sind sehr solide, sehr ehrwürdige alte Herren
geworden, und einer sogar von ihnen genießt den
Ruf eines Koryphäen in seiner Wissenschaft.
Alle diese Leistungen auf dem Gebiete der edlen
Zechkunst werden verdunkelt durch das Baner'sche
Trinkgelage zu Hildesheim im Oktober 1640, das
freilich für die Teilnehmer ein sehr verhängnißvolles
werden sollte.
Der schwedische General Bauer war einer der her-
vorragensten Feldherren seiner Zeit. Wie es häufiger
*) Es soll ein Herr von Buseck gewesen sein.