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blumenverzierten Buchstaben malen lies;:
„Was mich in dieser Welt beglückt,
Das währet eine kurze Zeit:
Was aber meine Seele liebt,
Das bleibt in alle Ewigkeit."
Auch jetzt sah die reiche Erbin wieder »ach dein
Spruche hinüber, wobei ein leiser Seufzer ihren
Lippen entfuhr. — Viele Burschen gingen immer
und immer wieder auffällig a»l Gehöfte vorbei,
denen sie schon deutlich genug ihre Abneigung zu
verstehen gegeben hatte, nur einer besaß Ehr
gefühl und ließ sich nicht blicken. Freilich war
dieser nicht reich wie die andern, sondern nur ein
armer Verwalter, aber das wäre doch anders ge
wesen, wenn sein verstorbener Vater nicht den
schönen Lindenhof und sein übriges Vermögen durch
Bürgschaften für einen falschen Freund eingebüßt
hätte. Berthold hatte übrigens auch ein viel
größeres Recht dazu sich ihr zu nähern, wie alle
anderen. Er war ihr Lebensretter, hatte sie als
Kind den Wellen der Lahn entrissen und die
Versicherung von ihr erhalten, daß sie ihn, wenn
sie später so groß sei, wie er selbst, zum Danke
dafür heirathen wolle. Marielies wußte noch ganz
genau, auf welche herzliche Art sie ihm damals
diese Versicherung gegeben hatte. Heute schämte
sie sich dieser Worte und fragte sich mit einem
unbehaglichen Gefühl, ob sich wohl Berthold noch
an ihr kindisches Versprechen erinnern würde.
Es sah zwar nicht darnach aus, aber Marielies
De» alten Försters letzter Wunsch.
Wenn ich einmal soll sterben,
Sv möcht's im Frühling sein,
Wenn sich die Wälder färben
Im goldnen Sonnenschein.
Wenn bunte Blumen blühen
Im Feld und auf der Au',
Wenn Silberwolken ziehen
Hin durch des Aethers Blau.
Wenn im Gezweig der Föhre
Die Turteltaube girrt,
Wenn in dem Blüthenmeere
Der trunkne Falter irrt.
Wenn hoch in blauen Lüften
Der Lerche Lied erklingt,
Berauscht von Blumendüften
Im Busch der Sprosser singt.
Wenn sich in weiten Kreisen
Der Habicht selig wiegt,
Wenn, ihre Brut zu speisen,
Zum Nest die Schwalbe fliegt.
fühlte, daß dies wohl doch der Fall sein müsse.
Er wich ihr ja schon längst aus, wo er nur konnte,
und wenn sie sich trotzdem alle paar Monate einmal
begegneten, dann war er immer so zurückhaltend,
als ob er sic vor einer falschen Meinung bewahren
müsse. Dies hätte er aber gar nicht nöthig gehabt.
Wußte sic doch längst, daß sie ihm um der alten
Nachbarschaft willen wohl und werth, aber sonst
im Grunde doch ganz gleichgültig war. — Warum
verursachte ihr nur sein abstoßendes Wesen pein
liche Gedanken? War Berthold ihr lieber, als
sie seither selbst gewußt hatte, war er der Rechte,
den sie allen anderen vorziehen würde? — Nein,
nein, das gewiß nicht! — Sie achtete ihn nur
höher wie ihre sämmtlichen Freier zusammen,
weil er aufrichtig war und um Goldes und Gutes
willen keine Liebe heuchelte, von der sein Herz
nichts wußte. Von jeher war Berthold ein ehr
licher Mensch gewesen. Wie an Schönheit und
Körpergröße, so hatte er stets alle Kameraden
an treuherziger Offenheit und festem Willen übcr-
troffen.
„Jungfer, das Gesinde ist in der Stube und
harrt auf Euch!" rief in diesem Augenblick die
Obermagd ihrer jungen Herrin zu.
Sie entriß dadurch Marielies dem Einfluß
peinlicher Betrachtungen, die bereits anfingen ihren
Seelenfrieden zu störe» und heimlich nagende
Gedanken in ihrem Herzen festzusetzen.
(Fortsetzung folgt.) ) .// ' • y(
lind soll ich einmal sterben,
Dann nicht im engen Haus,
Die letzte Ruh erwerben
Will ich im Walde draus.
Wohl in des Waldes Stille,
Im Bett von weichem Moos,
Ring' sich voll ihrer Hülle
Die müde Seele los.
Und wollt ihr mich begrabe»,
So möcht's im Walde sein,
Und Blumen müßt' ich haben
Wohl in den Sarg hinein.
Und bei der Waldkapelle
Da grabt mir dann meiit Grab,
Mein Waldmann kennt die Stelle,
Weiß, daß ich lieb sie hab'!
Daun will ich selig lauschen
In meiner kühlen Gruft
Dem süßen Waldesrauschen,
Bis die Posaune ruft.
Marburg, Frühling 1888. K er mann Kaafe.