abwesend lief Dora hinter dem Hute her, hob
ihn auf und fing ihn an mit ihrem Aermel' rund
herum glatt zu streichen. Hulda hatte den Brief
währenddessen durchflogen und brach in ein
krampfhaftes Lachen aus. Der Inhalt des
Schreibens schilderte ziemlich umständlich den
ganzen Sachverhalt und verbreitete sich auch be—
sonders eingehend über das der Herausforderung
porangegangene Gespräch. „So viel ich von einem
Augenzeugen gehört habe,“ schrieb der ehrliche
Kraͤmer, bei welchem Franz wohnte, „hat der
Betreffende sich erlaubt, mit Respect zu vermelden,
Ihnen einen Spottnamen beizulegen, worauf der
Herr Franz ihm erwiderte, daß er Sie, seinen
Herrn Vater, nicht kennen müsse, denn sonst würde
er nicht so von Ihnen reden können, als der
Andere sodann aber auch über Fräulein Köhler
loszog, da ist ihm die Geduld gerissen —“ u. s. w.
Bei dem schrecklichen Gelächter Hulda's stellte
Dora den Hut auf den Tisch und rief verzweiflungs⸗
ooll: „Ist er todt?“ Durch diese Worte schien
Frau Schröder die Besinnung wieder zu kommen,
sie hörte auf zu lachen und erhob sich. „Nein,
nein,“ sagte sie vor Dora tretend, „todt war
er noch nicht, als der Brief abging, aber der
liebe Gott weiß, ob er jetzt noch am Leben sein
wird. O, du gütiger Himmel, mein Sohn, mein
einziger Sohn und um so einer Person willen
mnuß ich ihn vielleicht verlieren!“ „Was ist ge—
schehen?“ rief Dora. „Ich beschwöre Sie, lassen
Sie mich den Brief lesen!“ — „Ja, das sollst
du auch,“ entgegnete Hulda „du sollst ihn lesen,
Creatur, bist du doch die Heldin, die das Un—
zlück über unser stilles Haus gebracht hat.“
Dora las den Brief und sank fassungslos nieder.
„Ja,“ schrie Frau Schröder mit vor Aufregung
heißerer Stimme, „nun weiß sie nichts Andres
ju thun, als in Ohnmacht zu fallen, die saubere
Mamsell! O, es ist unerhört! Mein armer
Junge! Mein armer Junge! Daniel!“ und sie
ergriff den Arm ihres Mannes, den sie heftig
schüttelte. „Daniel, was soll nun geschehen, willst
du hinreisen, oder soll ich es thun?“ — „Heu —
heute geht kein Zug mehr,“ lallte Herr Daniel,
welcher unterwegs aus Veranlassung der gehabten
Alteration eine allzu reichliche Stärkung genommen
hatte. „Mor — morgen um sechs Uhr rei —
eise ich ab.“ — „O, was für eine Nacht wird das
geben!“ jammerte Frau Hulda. „Ich kann es
nicht ertragen, ich muß mit dir an sein Lager
eilen, wo werden sie ihn hingebracht haben —?
In ein Krankenhaus — ja, so steht es in dem
Briefe — Ich muß hin, aber erst soll mir diese
hier aus dem Hause, Diese hier, die an allem
Schuld ist. Klar und deutlich steht es ja hier
zu lesen, schwarz auf weiß, daß der Franz es
äch hat ruhig gefallen lassen, als man sich über
einen leiblichen Vater öffentlich lustig machte,
ber hier die Mamsell, natürlich, die mußte er
n Schutz nehmen. Hörst du's, Daniel, über dich
onnten sie Späße machen soviel sie wollten, die
sotterbuben, das genirte ihn nicht, aber wegen
o einer Redensart über das gnädige Fräulein
sier, die vielleicht gar nicht einmal schlimm ge—
neint war, da mußte er sein Blut vergießen.
Ziehst du's nun ein, Daniel, was ich immer ge—
agt habe, daß sie das Unglück von unserm
5»äuse ist, daß sie fort muß, ehe Alles durch sie
u Grunde geht, siehst du's nun ein?“ „Ja ich
eh's ein,“ stöhnte Daniel, den seine Frau so
seftig an die Schulter gefaßt hatte, daß er sich
nit der einen Hand an dem vor ihm stehenden
rische halten mußte, um das Gleichgewicht wieder
u erlangen, „Ja, ich seh's ein, ich, Daniel
„chröder, Wohlgeboren, hier!“ „Und sie soll
ort, auf der Stelle fort?“ fragte Frau Hulda
sastig und im vollen Triumph. — „Ja, sie soll
ort, auf der Stelle fort,“ wiederholte Herr Daniel
nechanisch. Ein markdurchdringender Schrei Dora's
olgte diesen Worten. „Vermaledeite Weiber!“
ruurmelte der Fabrikherr, stülpte den Hut auf,
aß er auf das eine Ohr zu sitzen kam und
hwankte zur Thüre hinaus. Es war ein lauer
3pätsommerabend und heller Mondschein lag über
em Städtchen. Daniel Schröder schlug, ge—
enkten Hauptes, die Hände in den Taschen der
zeinkleider, den Weg zur Schenke vom „Genever—
hatz“ ein, dort angelangt nahm er mit einer
urchtbaren Verwünschung in dem am Ofen
tehenden Großvaterstuhl Platz, einen mächtigen
Wasserhund, der sich vor demselben gelagert, von
ꝛiner Ruhestätte vertreibend. „Willst du 'nen
zenever, Schatz?“ fragte der Wirth, der sich
llein in dem Zimmer befand, in seiner bekannten
Veise. — „Nichts will ich, alte Nachteule,“ er—
viderte Daniel, „ausruhen möcht' ich mich bei
Ddir, weil ich morgen mit dem frühesten ver—
eisen muß und sonst keinen passenden Ort
inden kann.“ — „Das wäre!“ sagte der alte
VBirth ironisch, „der reichste Mann auf fünf
Z„tunden im Umkreis hat zu Hause kein Eckchen,
vo er sich's im Schlafrock und Pantoffeln ge—
rüthlich machen kann? Alter Daniel, das mache
inem Andern weiß!“
„Hol's der Geier, Geneverschatz!“ brummte
„chröder, welcher mit dem Wirth auf einem sehr
ertraulichen Fuß stand, „zu Haus geht Alles
runter und drüber. Mein Franz hat sich duellirt
ind einen gehörigen Treff dabei wegbekommen,
ser alte Feldwebel, meine liebe Frau, wollte ich
agen, ist darüber aus Rand und Band gerathen
ind das Ende vom Liede war, daß wir die
Dora fortgejagt haben.“ „So—?“ sagte der Ge—
levermann, welcher das Herz auf dem rechten