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Stimmung, nur halb zurechnungsfähig, seine
Bestätigung zu der Ausweisung Dora's gab.
Diesen scheinbaren Umschwung in seiner gegen
das Mädchen sonst zu Tage getretenen Stimmung
aber hatte sie, nach seinem Fortgang am selben
Abend in so furchtbarer Weise gegen Dora aus
gebeutet, daß diese, von Verzweiflung erfaßt, aus
dem Hause stürzte und sich dem Fluß als erlösen
den Retter in die Arme warf. Statt am nächsten
Morgen am Krankenlager ihres Sohnes zu stehen,
war Hulda nun die Aufgabe zu theil geworden,
das Leben ihres Mannes »nd ihrer Pflegetochter
durch die aufopferndste Pflege zu erhalten zu
sucheil, da das Gewissen sich mächtig in ihr zu
regen begann und sie das dreifach über sie herein
gebrochene Unheil als eine Strafe des Himmels
für ihr unwürdiges Verhalten betrachtete. Mit
Entsetzen dachte sie auch an die Meinung der
Welt, welche für ihre Lebensdalter sie als die
eigentliche Mörderin ihres Mannes und Dora's
bezeichnen würde. „Das ist sie," würde man sich
bei ihrem Anblick wenigstens zu denken liicht ent
halten können, „das ist sie, die ihren Gatten und
das ihr anvertraute arme Kind in's Wasser ge
trieben hat. —" Konnte sie sich selbst auch von
diesem Vorwurf nicht reinigen, so sollte es ihr
doch erspart werden, das Leben einer der ihr
nahegestandenen Personen beklagen zu müssen.
Herr Daniel, sowie Dora erholten sich nach und
nach von dem genommenen, kalten Bade und
auch über Franz liefen bald günstigere Nachrichten
ein, sodaß Frau Hulda Hoffnung schöpfen konnte,
in der Folge das wieder gut zu machen, was sie
verbrochen hatte. Während dieser bangen Zeit
blieb ihr noch eine andere Aufregung nicht erspart.
Der Spießgeselle Wiesthalers hatte sich an diesen,
als er die erste Geldsendung so bereitwillig er
halten, noch mehrfach mit ähnlichen Gesuchen ge
wandt und als diese ohne Erfolg geblieben, aus
Rache den Geschäftsführer bei seinem Prinzipal
denuncirt. Dieser Brief wurde, da Daniel's Zu
stand keinerlei geschäftliche Thätigkeit zuließ, von
Frau Hulda gelesen und mit Schaudern sah sie
ein, wer die Veranlassung zu dem ganzen Drama
gegeben hatte. Ohne sich lange zu besinnen,
theilte sie Wiesthaler den Inhalt des Schreibens
mit und machte ihm auf sehr energische Weise
klar, daß seines Bleibens in ihrem Hause nach
dem Vorgefallenen nicht mehr sein könne. Mit
einem höhnischen Achselzucken nahm Wiesthaler
seinen fälligen Gehalt entgegen und verließ noch
an demselben Tag das Städtchen, da er es für
gerathen hielt, die Genesung des Herrn Daniel
nicht erst abzuwarten. Der älteste Commis über
nahm vorläufig seinen Posten. Als nach unge
fähr vier Wochen Franz eine frische Narbe über
der Stirne, aber sonst wohl und munter, aus
der Residenz ankam, fand er seinen Vater und
Dora völlig wieder hergestellt. Ueber die Wasser-
geschichte wurde ein Schleier gezogen, und er er
fuhr vorläufig nur so viel, daß Dora und Herr
Daniel bei einer Fahrt aus dem Fluß in Lebens
gefahr gewesen seien. An Daniel Schröder hatte
sich seit jener Schreckensnacht indessen eine sehr
heilsame Veränderung vollzogen, sein Kopf war
ihm so wohlthätig gekühlt worden, daß er einen
heiligen Schwur gethan hatte, täglich nie mehr,
als eine Flasche Wein und sonst nichts als Cafe,
Thee und Wasser zu trinken, und zwar ohne
irgend eine spirituose Zuthat. Als Franz bei
seiner Wiederkehr der erröthenden Dora Hände
ergriff, legte Frau Hulda die ihrigen, ohne eine
Wort zu sagen, auf der beiden Häupter, und
Franz zog die Geliebte mit einem innigen Kuße
an seine Brust. Dame wanderten die beiden
Liebenden hinaus nach dem stillen Plätzchen auf
dem Berge, und gaben sich dem Eindruck ihres
neuen Glückes hin. „Um eines wollte ich dich
noch fragen," sagte Dora, nachdem sie lange ge
kost und geplaudert, „weshalb hast du an jenem
einen Sonntag nicht geschrieben, welcher unserm
Leiden vorausging?" — Eine Wolke flog über
Franzens Gesicht. „Ich war damals in einer
merkwürdigen Stimmung," erwiderte er, „es war
mir, als ob es wie ein Alp auf mir lastete, als
ob etwas Schreckliches mir bevorstände, dem ich
nicht zu entrinnen vermochte. Drei, viermal fing
ich an zu schreiben, aber so schwermüthiges Zeug,
daß ich euch zu ängstigen fürchtete und so unter
ließ ich es lieber ganz. Doch nun hat sich ja
alles zum Guten gewendet, komm', der Abend
sinkt, die Mutter wird das Verlobungsmahl be
reitet haben, wir wollen sie nicht länger warten
lassen." — „Verlobt," flüsterte Dora und konnte
sich der Thränen nicht enthalten. — „Meine
liebe, liebe Braut," rief Franz und küßte ihr
die Augen. — Als des Abends in der festlich
erleuchteten guten Stube die umgewandelte Frau
Hulda ihr Glas füllte, um das Brautpaar hoch
leben zu lassen, holte Herr Daniel aus dem Wand
schränkchen, in welchen sonst die Rumcaraffe ihren
Platz hatte, eine halb gefüllte Weinflasche hervor.
„Ach laß' doch den Rest, lieber Daniel," sagte
Frau Hulda, „hier, nimm von dem frisch Ent
siegelten." — „Hollerchen," erwiederte ihr Gatte,
„du scheinst mich gewaltsam von dem Pfade der
Tugend und Mäßigkeit abspenstig machen zu
wollen. Wie den Rest meines Lebens, kann ich
auch diesen Weinrest gemüthlich genießen; mein
Sinn ist allein noch der Genügsamkeit zugewendet,
wie derDeine der Erhaltung des häuslichen Friedens,
denn die Radikalkur, die wir beide durchgemacht
haben, war nicht von schlechten Eltern. Doch nun, das
Brautpaar, vivat hoch! hoch! und nochmals hoch!"
irrn-