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Flecke trug. „So — ? die Dora fortgejagt?
das sieht deiner Frau ähnlich und weshalb denn
fortgejagt? wenn ich fragen darf."— „Weil der
Junge sich ihr zu Liebe hat den Schädel spalten
lassen."— „Das gefällt mir von dem Franz,"
rief der Andere. „Die Wunde, die er erhalten
hat, wird hoffentlich nicht so schlimm sein, daß
gleich das Aergste gedacht werden muß, und ein
schlechter Kerl, meiner Seel, der sich für sein
Mädchen nicht lieber in Stücke schlagen läßt,
als daß er leidet, daß auch nur ein unebenes
Wörtchen über es geredet wird. So hab' ich es
wenigstens gehalten und Du gewiß auch." „Mein
Mädchen — ?" murmelte Daniel, „Wenn du damit
meine jetzige Frau meinst, na, das ist schon lange
her und ich — Aber wie kommst du dazu, von
der Dora zu sprechen, als ob sie mit dem Franz
in irgend einem derartigen Verhältniß stände?"
„Daß die beiden sich lieb haben, das weiß die
ganze Stadt," erwiderte „Genever" mit einem
leisen Kichern, „dafür hat die Frau Hauptzoll-
amtskontroleurin gesorgt. Die war ja am ersten
Schützenfestabend bei euch in der guten Stube
und hat auch gehört, wie Du deinem Hollerchen
den Standpunkt klar gemacht hast und damit
herausgeplatzt bist, daß Du Ja und Amen dazu
sagtest, wenn aus Franz und Dora ein Paar
würde." Der Fabrikherr stöhnte tief auf, der
ehrliche, einfache Schenkwirth trat an ihn heran,
legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte
leise, aber um so eindringlicher: „Daniel, wenn
Du dies damals gewollt hast, was bewegt Dich
nun, das Mädchen, das doch Dein Augapfel war,
aus dem Hause zu weisen?". Schröder starrte
den Mahner erst einige Secunden schweigend an,
dann rieb er sich die Augen und sagte gerührt:
„Hast recht, Gcneverschatz, hast ganz recht, ich
bin ein altes Krokodil, ein ganz miserabler Kerl,
das Mädchen ist mir auch an's Herz gewachsen
und daß mich die Alte so überrumpeln konnte,
daran ist nur — na, Du weißt ja, was daran
Schuld gewesen ist — aber der Teufel soll mich
holen, wenn ich nicht Alles wieder in das alte
Geleise bringe." Gieb mir 'mal eine Flasche
Wasser und ein Glas Cognac." Mit freundlichem
Lachen holte „Genever" das Verlangte und
Daniel trank mit zitternder Hand hastig einige
Gläser des gemischten Getränkes, seine wüsten
Züge nahmen einen ruhigeren Ausdruck an und
als er nach einer Weile aufstand, sagte er mit
fester Stimme: „So, nun will ich nach Hause
gehen und Frieden stiften und morgen zu
meinem Sohne!" „Genever" ging mit ihm in
die Mondnacht hinaus. Von den Bergen und
Wäldern wehte eine erquickende Luft herüber,
langsam in silbernen Streifen floß der Strom
dahin, an dessen Ufer die beiden Männer in
ernstem Gespräch entlang schritten. Der große
Hund war seinem Herrn gefolgt und Genever
streichelte ab und zu den Kops des gewaltigen
Thieres, wenn dasselbe sich an ihn drängte.
Plötzlich stieß der Hund einen dumpfen, grollenden
Laut aus und sein Herr, aufmerksam geinacht,
hob den Kopf und erblickte aus einem nahe ge
legenen Heckenwege eine weibliche Gestalt hervor
eilen. Dieselbe kam von der Stadt her, ihr
blondes aufgelöstes Haar flatterte im Nachtwind,
ohne Tuch oder Mantel schien sie von Hause
fortgelaufen zu sein. „Genever" stutzte bei dem
unerwarteten Anblick, dann aber flüsterte er, die
Gestalt fester in's Auge fassend, Daniel zu:
„Das ist ja Dora! Um Gvtteswillen, was hat
sie vor?" Das Mädchen fiel, an dem Ufer ange
langt, mit einer leidenschaftlichen Bewegung auf
die Kniee . . . „Dora!" schrie der Fabrikherr,
riß sich vom Arme Genevers los uub stürzte
auf seine Pflegetochter zu. Beim Klang einer
menschlichen Stimme fuhr die Unglückliche zu
sammen, eilte wie verwirrt einige Schritte zu
rück, wandte sich dann wieder dem Flusse zu
und verschwand vor den Augen der dicht an sie
herangekommenen Männer in dem Wasser.
„Mein Kind! Mein Kind!" schrie Daniel und
ehe der Andere es verhindern konnte, sprang der
alte Mann hinter seinem „Augapfel" her, hinab
in den Strom.
*
* -i-
Wochen sind seit jenem Sonntagabend ver
gangen, der Herbst ist in's Land gekommen und
hat die Wälder röthlich gefärbt, die Luft ist klar,
milder Sonnenschein leuchtet über die Gegend.
Auf der Bank unter der Buche am Schützenplatz
sitzen zwei glückliche Menschen itnb blicken hinaus
in die schöne Welt, wie sie sich so friedlich zu
ihren Füßen ausbreitet. Franz und Dora sind
es, die Gottes gütige Vaterhand vom Untergange
bewahrt hat. Dem braven „Genever" und seinem
Wasserhund war es glücklich gelungen, sowohl
Daniel, wie Dora dein Strome noch zu rechter
Zeit wieder zu entreißen. Mit Hülfe seiner Leute
brachte der Wirth die beiden Bewußtlosen in seine
Wohnung, wo der schnell herbeigerufene Arzt
mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln ver
suchte, das Schliimnste von ihnen abzuwenden.
In aller Stille wurde Frali Hulda noch während
der Nacht von dem Geschehenen in Kenntniß ge
setzt und in welcher Verfassung sie vor dem Lager
ihres Mannes und demjenigen Dvra's erschien,
braucht der Erzähler wohl nicht zu schildern.
Mußte sie sich doch selbst alle Schuld an dem
ganzen Unglück beimessen, hatte sie doch durch
unablässige Nörgeleien ihren Mann soweit ge
bracht, daß er schließlich in einer gereizten